Schmackhafte Vorsätze (Sieben Sachen)

Cover zu sieben sachen mit Regenbogen
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Guten Tag,

heute geht es gleich zweimal weiter im Text, was die sieben Sachen betrifft. Die beiden skurilen Sachen sind jetzt an der Reihe, obwohl sie jahreszeitlich manchem vielleicht nicht als Lesefutter passen. „Was macht’s? Die fressen doch kein Brot“, würde meine Mutter jetzt sagen. Und weil das so ist, können beide Kurzgeschichten zu gegebener Jahreszeit zum passenden Termin natürlich erst oder wieder gelesen werden.

Für die Geschichte in diesem Beitrag gilt: „Vorsicht schwarzer Humor“.

Sie entstand für die schreibgruppe der evangelischen Blindenseelsorge im Rheinland zum Thema Silvester (2008-2009).
Ich wünsche gute Unterhaltung.

Schmackhafte Vorsätze

Lieber Benno, lieber Franz, lieber Fred und liebe Elfi,

meiner Einladung zu dieser Silvesterparty seid Ihr sicher alle gern gefolgt. Das freut mich aufrichtig! Illusionen über die Gründe Eures Kommens mache ich mir nicht. Seid herzlich in meinem Haus willkommen und stört Euch nicht daran, dass ich, wie Ihr sicherlich bereits gemerkt haben werdet, nicht leibhaftig anwesend sein kann und Ihr daher fast nur mit der Aufnahme, die Ihr gerade hört, Vorlieb nehmen müsst.

Eine Videoaufnahme habe ich Euch erspart, da ich ja alles andere als telegen bin, nicht wahr Elfi? Ihr hattet bestimmt mit einer Einladung zum Weihnachtsfest gerechnet, bei dem es dann ein besonders üppiges Menü und zahlreiche Geschenke hätte geben sollen. Es tut mir leid, aber diesmal war es für mich unumgänglich mich auf eines der Feste zu beschränken. Und zumindest zum Jahreswechsel ist es so wie Ihr es gewöhnt seid und wie Ihr es erwartet, es gibt reichlich umsonst.

Was die Feste betrifft, wird sich alles ändern. In gewisser Weise ist es schon das Ende, obwohl es nicht die letzte, sondern erst die vorletzte Einladung von mir ist. Was das letzte Fest, betrifft, so komme ich am Ende dieser Aufnahme noch darauf zu sprechen.

Dass es bezogen auf Einladungen und Feste in dieser Familie nicht so bleibt wie es war, ist einerseits eine schlechte Nachricht, denn ich werde nie wieder diejenige und die einzige sein, die den Beweis dafür antritt, dass Liebe durch den Magen geht, indem sie auffährt, was kulinarisch möglich ist. Andererseits ist es eine gute Nachricht für Euch, denn ab sofort müsst Ihr Euch nie wieder den Kopf darüber zerbrechen, warum Ihr mich nicht einladet, warum für Euch gelten kann, aus der Ferne liebt es sich leichter. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich meinen Teil dieses zwiespältigen Familienkonzepts erfüllt habe, denn ich weiß bestimmt, Ihr habt mich trotz meiner Unabhängigkeit und trotz meiner Lebensweise, die Euch überhaupt nicht in den Kram passen, die Ihr mir nicht zugesteht, einfach zum Fressen gern. Betrachtet also diese vorletzte Einladung und vor allem den folgenden Gang des Menüs als meinen aufrichtigen Dank für diese, Eure Liebe!

Da ich schon länger weiß, dass meine Tage gezählt sind, blieb mir genug Zeit meine Vorbereitungen zu treffen. Ich bin die Sache wieder einmal auf meine Art angegangen, habe so gelebt wie zuvor und habe dabei gleichzeitig einen außergewöhnlichen Plan speziell für Euch ausgeheckt. Und ich bin mir sicher, dass ihr mir gerade diesen besonderen Plan und seine Umsetzung, die wirklich nicht einfach war, nicht zugetraut habt. Unter uns gesagt, ist die Sache wie sie abgelaufen ist, nicht ganz legal. Aber ich werde Euch nicht mit den Einzelheiten über die Umgehung gewisser gesetzlicher Vorgaben langweilen.

Sollte Euch mein Vorgehen so befremden, dass Ihr Euch nur Rache als Motiv vorstellen könnt, muss ich Euch enttäuschen oder beruhigen, je nach dem, wie Ihr das empfindet. Nein, ich hege keine Rachegelüste, zum Beispiel wegen des Betrugs, den Ihr an mir bezogen auf Vaters Erbe begangen habt. Wozu auch? – Aus mir ist ja auch ohne Eure Firma was geworden und gut verdient habe ich auch, kaum zu glauben, nicht wahr, Benno?

Wir haben von unserer Mutter gelernt, man ist, was man isst. Also muss umgekehrt wohl gelten, man ist nicht, was man nicht isst. Und jeder braucht etwas anderes. Wenn nun das, was man braucht und noch nicht ist, „artgerecht“, also im Mitmenschen verfügbar ist, ist es naheliegend und folgerichtig sich das, was man braucht und noch nicht ist, vom Anderen zu nehmen oder sich von ihm freiwillig geben zu lassen. Ich gebe freiwillig, ungefragt und gern. Und ich bin daran gewöhnt mich nützlich zu machen. So nutze ich jetzt die Möglichkeit jedem von Euch das von mir zu geben, was er braucht, noch nicht hat und deshalb auch noch nicht ist. Und da wir unter uns sind, bleibt es in der Familie.

Dass meine Speisenauswahl für den folgenden, individuell auf jeden von Euch abgestimmten, Gang, Eurem Geschmack und Euren Vorstellungen vollkommen entspricht, wage ich zu bezweifeln. Schon, weil Ihr wie immer betonen werdet, dass Ihr anders und besser seid als ich, wird es Gemecker geben. Aber ich kann einfach nicht aus meiner Haut und tue und gebe, was ich kann. Und es bleibt ja in der Familie.

Aus kulinarischer Sicht sind die individuellen Speisen des nächsten Gangs absolut unbedenklich und nach den Regeln des guten Geschmacks komponiert. Dafür wird wie eh und je meine gute und treue Lena Sorge tragen. Dafür, dass mein Rezept bei und für Euch seine Wirkung tun wird, gibt es natürlich keine Garantie. Jede der folgenden Speisen ist ein leibhaftiger Wunsch von mir für einen jeden von Euch. Wenn es hilft, geht es Euch und Euren Mitmenschen bald besser und Ihr braucht für das nächste Jahr nicht einmal einen guten Vorsatz zu fassen, den Ihr eigentlich sowieso nicht halten wollt. Was Euch gleich vorgesetzt wird, ersetzt jeden guten Vorsatz, dem Energiestoffwechsel sei Dank! Und Ihr braucht nichts dazu zu tun als das, was ihr sonst auch tut, alles zusammenraffen und in Euch hineinstopfen, was Ihr kriegen könnt. Zumindest hat mein Plan für Euch bisher zeitlich ausgezeichnet funktioniert. Und wenn meine guten Vorsätze für Euch nicht wirken, zählen zumindest in gewisser Weise die guten Absichten und die Geste selbst. Da bin ich sicher! Und selbst Fred kann meiner nicht mehr habhaft werden wie ihm beliebt.

Benno, Dir habe ich ein gegrilltes Stück vom Nacken zugedacht. Du hast Dir dieses spezielle Gericht verdient, weil Du einer der größten, wenn nicht der größte, Geizkragen bist, den ich kenne. Aber Auch Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, alle Zutaten sind vom Feinsten. Und Du brauchst Dir auch keine Gedanken darüber zu machen, dass Du zu kurz kommst. Auch Dir gebe ich selbstverständlich gern Und in diesem besonderen Fall wirst Du mir sicher ausnahmsweise keine Verschwendungssucht unterstellen. Denn auch Dir gebe ich natürlich und wie immer gut, viel und gern. So handelt es sich bei dem, was auf Deinem Teller liegt, nicht nur um das größte Stück, sondern auch um die beste Marinade und nicht um das gepanschte, billige Zeug, das Du anbietest, wenn Du Dich genötigt fühlst, Gäste bewirten zu müssen. Und darum haben wir keine Kosten und Mühen gescheut, die besten und frischesten Zutaten in großzügiger Menge für Sauce und Beilagen zu beschaffen und diese hat Lena eigenhändig und sorgfältig verarbeitet. So bekommst Du ordentlich was zwischen die Zähne, Du alter Gierschlund!

Franz, wenn Du jetzt denken solltest, dass Du das pikante Herzragout nach Provincealischer Art bekommst, weil bei Dir seit eineinhalb Jahren ein Herzproblem medizinischer Art vorliegt, bist Du gewaltig auf dem Holzweg. Wäre das der Fall, müsste ich der Unbedenklichkeit meiner Speisen zum Trotz den Hinweis geben: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Du brauchst dieses schmackhafte Herzragout gegen einen Herzfehler, den Du schon seit wir alle denken und fühlen können, hast, der aber keineswegs angeboren und nicht medizinisch behandelbar ist. Hoffentlich hilft das Herz wenigstens ein Bisschen gegen Deine Kalt- und Hartherzigkeit gegen alles und jeden. Lena wird durch eine sachgemäße und liebevolle Zubereitung des Herzragots eine Speise zubereitet haben, bei der das Herz einerseits weich und zart ist, wie ein gutes Herz eben ist, das aber andererseits noch eine solide Konsistenz hat, wie es sein muss, um beherzt und gut zu leben. Das Herzragout weicher als Dein Herz zu kochen, war sicherlich die einfachere Aufgabe bei der Zubereitung des vorzüglichen Herzens. Von Dir stets als zu gutherzig befunden bleibt mir nur Dir von ganzem Herzen einen gesegneten Appetit und gute Besserung zu wünschen.

Fred, Deine herausragende Bedeutung als Kopf des Familienunternehmens würdige ich mit einem besonderen Leckerbissen, mit eingelegtem Hirn. Zumindest bei Dir bin ich mir recht sicher mit der Speisenauswahl richtig zu liegen. Außergewöhnliche Pläne und Ideen sind ganz nach Deinem Geschmack. Obwohl es durchaus sein kann, dass mein Einfall Dir wohl nicht undurchsichtig und abgefeimt genug ist. Aber ich habe natürlich meine Gutwilligkeit, die Dir immer schon ein Dorn im Auge war, und für die Du bislang immer Hohn und Spott übrig hattest, auch Dir gegenüber nicht verloren. Ich möchte Dir mit diesem exzellent zubereiteten Gehirn zeigen, dass ich guten Willens bin Deinem hervorragend entwickelten Denkvermögen ganz neue Impulse zu geben. Ich habe so meine Zweifel, ob dieses Gericht bei Dir überhaupt etwas bewirken kann, Du alter Starrkopf und Dickschädel! Aber zumindest beim Verzehr dieses schmackhaften Gerichts werden Dir nur gutartige Gedanken und Ideen in den sinn kommen. Denn die Zubereitung ist absolut delikat! Ich wünsche Dir gute Pläne und Ideen zum Nutzen aller, mit denen Du zu tun hast und jetzt erst einmal einen gesegneten Appetit!

Elfi, ich weiß, wie schwer es Dir gefallen ist, für die Dauer meiner Ausführungen Deine spitze Zunge im Zaum zu halten. Und es ärgert Dich, dass ich schon wieder einmal eine Möglichkeit gefunden habe, mich nicht auf Deine Lügen und Lästereien einlassen zu müssen. Und auch mit Deiner Angeberei habe ich ab sofort nicht mehr das Geringste zu schaffen. Keine Sorge, bei den folgenden Gängen wird Dir noch genug Zeit für Spott und Verleumdungen bleiben. Ich weiß ja leider nicht, ob und wann mein Gericht seine Wirkung entfaltet. Dass sich Zunge und Wange in Aspik im Vergleich zu den anderen Speisen dieses Gangs verhältnismäßig bescheiden ausnehmen, stört Dich bestimmt nicht. Denn Du bist ja gerade wieder einmal dabei abzunehmen und behauptest wie immer soooo bescheiden zu sein wie niemand sonst in der Familie. Du lebst aber Deiner Behauptung zum Trotz mit Deiner Habgier und Deiner Aufmachung nach dem Motto: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch es geht ganz ohne ihr!“ Daher drücke ich mit meinem Gericht für Dich den Wunsch aus, dass Du in den nächsten Jahren den Mund nicht mehr so voll nehmen musst und jetzt erst einmal einen guten Appetit!

Damit Ihr jetzt aber ungestört kräftig Zulangen, die nächsten Gänge des Menüs und den Jahreswechsel genießen könnt, möchte ich nur noch zwei Bemerkungen machen.
Zum einen möchte ich Euch herzlich zu meinem letzten Fest einladen, bei dem Ihr Euch wie immer um nichts kümmern müsst. Am Montag dem 05. Januar findet um 11.00 Uhr die Beisetzung derjenigen sterblichen Überreste statt, für die mir kein passender Verwendungszweck eingefallen ist. Ihr braucht Euch also nicht um den kläglichen Rest zu streiten. Und Ihr müsst Euch auch deshalb nicht sorgen, weil ich ja seit vielen Jahren das Doppelgrab auf dem Nordfriedhof habe, wo schon mein Richard seine Letzte Ruhe gefunden hat. Ihr braucht Euch also um nichts zu kümmern, keine Sorgen zu haben und müsst auch nichts bezahlen. Dass es eine kostenlose Veranstaltung ist, wird vor allem Dich freuen Franz, da Du ja derjenige bist, der Richard und mir in Wort und Tat immer gezeigt hast, wie überaus herzlich Du uns zugetan warst, gerade, sodass Du Dir von je her Sorgen gemacht hast, wie Du uns meiden konntest und uns zu verstehen gegeben hast, dass wir für Dich nichts wert sind. Endlich sind wir dann wieder vereint, der Richard und ich. Der Leichenschmaus wird dann um 12.00 Uhr im Restaurant des Seehotels stattfinden.

Die zweite Anmerkung, die ich eben angekündigt habe, ist, dass ich Euch beruhigen kann. Denn diese Silvesterparty ist wirklich nicht das Letzte, mit dem Ihr abgespeist werdet, wenn sich schon alles ändern muss. Nach dem kostenfreien Mittagessen im Seehotel findet nämlich direkt die Testamentseröffnung statt. Und ich verspreche Euch nicht zu viel, wenn ich sage, dass es sich für jeden von Euch lohnt, das erbe nicht auszuschlagen, obwohl ich den Löwenanteil meines Vermögens der Lena und den Belangen der Hunde in dieser Stadt vermache. Ich wünsche Euch also von ganzem Herzen einen schönen Jahreswechsel, alles erdenklich gute für das Jahr 2009 und viele weitere Jahre und vor allem gute Besserung!

Liebe Grüße

Susi

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Autor: Paula

Paula Grimm ist das Pseudonym, das die Autorin seit 2012 im Gedenken an ihre mutter Gertrud Maria Paula Quenel geb. Grimm verwendet. Bei der Paula, geb. am 24.12.1965, geht es immer prosaisch zu.

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