Lesung aus Felicitas: Die blaue Stunde in Kerken Teil I.

Guten Tag,

meine erste Lesung aus Felicitas war meine erste Lesung überhaupt. Sie fand am 09. Februar 2019 im Capannina in meinem Wohnort Nieukerk statt.

Die Lesung hatte zwei Teile. in diesem beitrag könnt Ihr den ersten abschnitt hören.

Zehn Jahre lang machten Siggi und Sonja Kraus das Capannina mit gutem Speis und Trank zu einem Gasthaus, das der Bezeichnung Gasthaus Ehre macht. Seit dem ich in Nieukerk wohne, Juli 2014, war im Capannina mein „zweites Wohnzimmer“. Leider war damit Ende 2023 schluss. Wie es dort weitergeht, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Sonja hatte das hintere Zimmer des Lokals passend, vor allem in Blautönen eingerichtet. Warum das so gut passte, könnt Ihr gleich hören.

Ich wünsche gute Unterhaltung.

Liebe Grüße

Paula Grimm

Felicitas: Die ersten sieben Leben eines Pumas

Guten Tag,

heute stelle ich das Zweite meiner Bücher in die Bibliothek ein. Es erschien im Jahr 2017 als Ebook, Taschenbuch und als Taschenbuch. Lesun gen, die ich aus diesem Buch gestalten durfte, werde ich demnächst in die Hörbar hochladen.

Titel: Felicitas

Untertitel: Die erstensieben Leben eines Pumas

Autorin: Paula Grimm

Klappentext

Im Juli des Jahres 2012 kauft die Journalistin und Autorin Tamara Sänft ein Haus in Tannhuysen am Niederrhein. Dort findet sie das Tagebuch von Felicitas Haechmanns aus dem Jahr 1990. Direkt nachdem Tamara die Kladde ergriffen hat, spürt sie die magische Anziehungskraft, die von diesem Band ausgeht, noch bevor sie ein Wort gelesen hat. Als sie das Buch fasziniert in der Hand hält, erscheinen Felicitas’ und ihr Krafttier, ein Pumaweibchen, um Tamara davor zu warnen dieser Geschichte habhaft werden zu wollen. Sie ignoriert diese Zeichen. Und die beiden Zeitungsartikel, die sie in der Kladde findet, spornen sie an, diese Geschichte abzuschreiben und unter dem eigenen Namen als Roman zu veröffentlichen. Denn diese beiden Ausschnitte scheinen einfach nur ein Garant für eine spannende Geschichte zu sein: „Brutale Vergewaltigung an der Bushaltestelle Jungfernweg

Wie die örtliche Kriminalpolizei mitteilt, wurde am Mittwoch dem 16. März gegen 19.10 Uhr die siebzehnjährige Friseurin Terese Haechmanns an der Bushaltestelle Jungfernweg in Tannhuysen brutal überfallen und vergewaltigt. Sie wurde, nachdem sie an der Bushaltestelle ausgestiegen war, von drei Männern mit Vogelmasken überfallen und zumindest von einem der Männer hinter dem Bushäuschen vergewaltigt. Der Mann trug eine Taubenmaske. Seine beiden Helfershelfer sollen eine Papageien- und eine Spatzenmaske getragen haben. Das erklärten die Geschädigte und Richard Bongartz, der zufällig mit dem Fahrrad am Tatort vorbei kam, und dem es zumindest gelang die Täter in die Flucht zu schlagen. Bislang konnten die Täter nicht ermittelt werden.

Tannhuysener Gemeindeblatt: . 1978 1. Kalenderwoche

Wir sind glücklich über die Geburt von Felicitas Haechmanns, geboren am 28.12.1977 um 19.28 Uhr in Tannhuysen. Herzlich willkommen, Fee! Terese, Isabel und Heinrich Haechmanns.“

Tamara Sänft bekommt durch Felicitas’ Aufzeichnungen und durch die Verwicklungen der Ereignisse aus der Vergangenheit mit ihrem Leben tatsächlich eine überaus spannende Geschichte, die die Geheimnisse aus den Jahren 1977 bis 1990 enthüllen. Aber sie wird dieser Geschichte und Felicitas Haechmanns nicht Herr, wie sie es geplant hat. So muss sie unter anderem einsehen, dass ihr Mann, Sigmund Sänft, mehr als ein dunkles Geheimnis hat.

Ebook:

Preis: 2,99 €

Link zum Ebook bei Xinxii: http://www.xinxii.com/felicitas-p-375280.html

ISBN: 9783961426003

Hörbuch:

http://www.xinxii.com/felicitas-p-375730.html.

ISBN: 9783961457185

Taschenbuch

Preis: 15,49

Link zum Taschenbuch bei Epubli:

http://www.epubli.de/shop/buch/Felicitas-Paula-Grimm-9783745085457/63672

In der Buchhandlung deines Vertrauens

ISBN: 9783745085457.

Bücher von Paula Grimm bei Amazon:

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Elsa und Mimmi aus sieben Sachen

Guten Tag,

kommt das Beste immer zum Schluss? Darüber das kann ich selbst an dieser Stelle natürlich nicht entscheiden.

Veröffentlicht wird diese Geschichte zu einer Zeit, in die sie vielleicht nicht passt. Aber in gewisser weise passt sie immer. Denn es geht auch um Freundschaft, ein Thema, das jeder Zeit wichtig ist.

Viel freude mit dieser Geschichte aus der Rubrik Tierisches.

Liebe Grüße

Paula Grimm

Elsa und Mimmi

Elsa lebte mit sieben anderen Mutterschafen, einem frechen Jährling und einem Bock zusammen. Die Herde gehörte einem alten Schäfer, Richard Weigand, der bis vor zwei Jahren mit einer weitaus größeren Herde, die mehr als zweihundert Mutterschafe gezählt hatte, umhergezogen war. Inzwischen war er Rentner und lebte auf dem Bauernhof, den er von seinen Eltern geerbt hatte und ließ die Schafe ausschließlich das Land abweiden, das zum Anwesen gehörte. Anderes Vieh hielt Weigand nicht. Und der Bock erklärte immer wieder, wie gut das war. „Kühe, Ziegen Schweine und Federvieh untergraben den Zusammenhalt, die Moral und die Sitten einer Herde!“

Seine kleine Herde hielt Weigand, weil der Schäfer nun mal das Scheren nicht lässt. Und was das Scheren betraf, war Elsa froh, denn ihr Hirte konnte diesbezüglich mit ihr sehr zufrieden sein. Schließlich hatte sie im vergangenen Sommer vier Kg Wolle gegeben. Nach dem Auswiegen ihrer Wolle hatte der Schäfer stolz gesagt: „Das ist sehr gut! Es gibt immer mehr Leute, die nach schwarzer Wolle verlangen!“ Aber wirklich getröstet wäre Elsa nur gewesen, wenn sie tatsächlich jemanden kennengelernt hätte, der ihre schwarze Wolle wirklich mochte, denn es war überhaupt nicht leicht, das schwarze Schaf zu sein, auch nicht oder gerade in so einer kleinen Herde.

Außer Tilla mochte kein anderes Schaf neben ihr grasen oder schlafen. Und Bella, die sich immer sehr wichtig vorkam, nicht zuletzt, weil sie einen großen Stein im Brett des Bockes hatte, behauptete immer wieder: „Die Tilla bleibt nur in deiner Nähe, weil sie zu dumm ist, dich nicht zu mögen.“
Auch der Bock übersah Elsa meist geflissentlich. Und wenn er doch einmal in ihre Nähe kam, stampfte er zornig mit dem Vorderhuf auf und senkte drohend den Kopf.

Eines Morgens im November beobachteten die Schafe, dass Bella, die nicht nur besonders schön, sondern auch besonders neugierig und schwatzhaft war, am Rand des Pferchs stand und aufmerksam einem Gespräch folgte, das der Schäfer mit einem fremden Mann führte. Die anderen Schafe wollten schon hingehen, um endlich auch zu erfahren, worum es ging, als Bella sich umdrehte und mit wichtiger Miene auf die Mitte der Weide zusteuerte.
„Hört mal alle her!“, rief sie. Und alle Schafe bildeten einen Kreis um Bella.
„ich muss euch was erzählen!“, fuhr Bella so aufgeregt fort, dass ihre Stimme zitterte und höher klang als gewöhnlich, sodass ihre Schwester Emma, die immer eifersüchtig auf Bella war, spitz bemerkte: „Verdammt nah an der Ziege heute, was?“
Bella ließ sich nicht beirren und sprach weiter: „In der Stadt wird es einen Weihnachtsmarkt mit einer lebendigen Krippe geben. Und weil wir eine so schöne, kleine Herde sind, sind wir mit dabei. Und an jedem Sonntag in der Vorweihnachtszeit wird es ein Adventssingen geben mit der Krippe malerisch im Hintergrund. Und zu diesem Singen kommt immer das Fernsehen!“
„Fernsehen?“, fragte Tilla.
„Das ist mal wieder typisch, dass du das nicht kennst!“, meinte der Jährling herablassend.
„Der Schäfer erzählt doch immer davon. Im Fernsehen kann man alles über die Welt erfahren. Und im Fernsehen gibt es nur berühmte Persönlichkeiten.“
„Und weil das nur, was für Prominente ist, und weil uns die ganze Welt sehen wird,“, fiel Bella dem Jährling ins Wort und sprach dann weiter: „Darum müssen wir einen ganz besonders guten Eindruck machen.“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie ganz leise hinzu: „Für mich ist das ja überhaupt kein Problem.“

Dann sahen die Schafe einander an, und der Jährling knuffte Elsa in die Seite: „Dich können wir aber nicht mitnehmen, wenn wir einen guten Eindruck machen sollen. Du passt nicht zu uns. Und abends, wenn es dunkel ist, sieht dich sowieso kein Schwein, du Mistvieh!“
„Mist machst du auch nicht gerade wenig!“, versuchte sich Elsa zu verteidigen.
„Du kannst mich mal! Ich werde diese Herde berühmt machen mit meiner Show! Schließlich beobachte ich die größeren Enkel des Schäfers immer, wenn sie für das Casting üben.“ Und der Jährling begann auf den Hufen zu tänzeln und Laute auszustoßen, die manchmal kurz und abgehackt und dann langgezogen oder sogar auf- und abschwellend klangen. Währenddessen stritten die anderen Schafe darüber, welches von ihnen das schönste und hellste Fell hatte.

Der Bock machte diesem Geschrei ein Ende, indem er mit dem Kopf kräftig gegen den Unterstand stieß, den der Schäfer erst vor einigen Tagen aufgestellt hatte. Und der Bock brüllte: „Ruhe in der Herde! Ihr versteht wieder einmal den Ernst der Lage und die Wichtigkeit des Ereignisses nicht. Es geht hierbei um nichts Geringeres als um die Schafsehre, die Bedeutung des Schafswesens für die Weihnachtsgeschichte an sich. Und darum werdet ihr nur genau das tun, was ich euch sage. Und das gilt ganz besonders für dich!“
Der Bock sah in Elsas Richtung und stampfte drohend mit dem Vorderhuf auf. „Individuen wie du, eh, schwarze Schafe, sind sogar in der Menschheit berüchtigt und verschrien. Weigand wird zwar darauf bestehen dich mitzunehmen, weil du nun mal zur Herde gehörst, aber du wirst dich gefälligst vollkommen im Hintergrund halten. Du bist zwar keine Schande für die Menschheit aber dafür umso mehr für das Schafswesen!“

Etwa zwei Wochen später verlud der Schäfer die zehn Tiere auf den Hänger an seinem Traktor. Es war ein kalter Nachmittag mit Schneeregen. Elsa fühlte sich nicht wohl. Sollte die Zeit bei der lebendigen Krippe so werden, wie die Fahrt dorthin war, sah sie sehr dunklen Tagen entgegen. Auf dem Hänger stand sie zwischen Emma und Bella, die sie immer wieder in die Seite knufften. Vor Elsa stand der Jährling, der sich zu ihr umgedreht hatte, und einige Male nach ihr biss.

Schließlich hielt Weigand an und ließ die Schafe aus dem Anhänger. Auf dem Platz, auf dem der Weihnachtsmarkt stattfinden sollte, herrschte bereits geschäftiges Treiben, denn viele Menschen waren dabei Stände und Fahrgeschäfte aufzubauen. Als die Schafe auf den Stall, der sich direkt neben dem Weihnachtsmarkt befand, zugingen, hörten sie zwei laute Stimmen.

„ich bin für die Weihnachtsgeschichte unendlich wichtig und deshalb gebührt mir der Ehrenplatz ganz vorn in der Krippe!“, rief ein Esel.
„Ich wirke viel beruhigender auf die Menschen als du, durch meine imposante Größe und meine Gelassenheit!“, muhte ein Ochse.

Als die beiden aber die Schafe sahen, riefen sie wie aus einem Maul: „Ihr dummes Gesindel haltet euch gefälligst in der lebendigen Krippe ganz im Hintergrund!“, und der Esel fügte hinzu: „Ihr kommt in der Weihnachtsgeschichte ja nur deshalb vor, weil die Hirten bei euch gewacht haben. Ihr seid also höchstens indirekt beteiligt.“

Und während Weigand mit zwei anderen Männern, die wahrscheinlich die Besitzer von Ochs und Esel waren, den Stall für die Nacht vorbereitete, hielt der Bock eine Rede zur Verteidigung des Schafswesens vor allem für die Weihnachtsgeschichte.
„Wir Schafe repräsentieren das einfache Leben und die Friedlichkeit des Gottesreiches! Und das gilt in besonderem Maße auch innerhalb der Weihnachtsgeschichte. Das schöne Wollweiss unserer Felle wirkt auf die Menschen anheimelnd, friedlich und freundlich, was man auch daran erkennen kann, dass sie uns zur Beruhigung zählen, wenn sie abends im Dunkeln liegen und nicht schlafen können. Unser Fell leuchtet dann für sie besonders friedlich und freundlich. Wer käme denn auf die Idee Ochsen oder Esel vor dem Einschlafen zu zählen?“

Der Hinweis des Bockes auf dieses Einschlafritual der Menschen veranlasste Elsa sich in den hintersten Winkel des Stalles zurückzuziehen. Denn sie erinnerte sich noch zu gut an den Streit, den sie einmal mit Bella über diese Sitte gehabt hatte.
„Dass schwarze Schafe wirklich nichts taugen, kann man ja ganz einfach daran erkennen, dass man so was wie dich vor dem Einschlafen nicht zählen kann, weil man dich im Dunkeln ja überhaupt nicht sieht! Außerdem bekommen die Menschen, wenn sie so was wie dich sehen, nur noch mehr Albträume als sie ohnehin schon haben.“
„Ich kann doch ganz beruhigend und freundlich blöken!“
„Und was glaubst du wohl, wer dein furchtbar gewöhnliches Blöken vor dem Einschlafen hören will, he?“
Und um die Diskussion zu beenden, hatte Bella Elsa wieder einmal kräftig in die Seite geknufft.

Als Elsa den geordneten Rückzug angetreten hatte, und es sich im hintersten Winkel so gemütlich als möglich gemacht hatte, gingen die Streitigkeiten mit unverminderter Schärfe weiter. „Schönes Fell?“, höhnten Ochse und Esel wie aus einem Maul.
„Mein Fell ist viel schöner als eure Felle durch seine einzigartige schwarzweiße Zeichnung.“
„Es stimmt! Das Weisß eurer Felle ist langweilig und eintönig. Außerdem muss ich betonen, dass grau nicht gleich grau ist. Und wusstet ihr schon, dass sich Esel wieder großer Beliebtheit bei den Menschen erfreuen, und dass ich aus einer großen Zahl meiner Artgenossen für die Präsenz bei dieser lebendigen Krippe auserwählt worden bin? Ich bin also das Aushängeschild des Eseltums.“

Da die Menschen ihre Arbeit getan hatten und fortgegangen waren, und weil der Esel nach seiner Rede erst einmal verschnaufen musste, da er sich doch sehr aufgeregt hatte, trat Stille ein, in der plötzlich eine leise, aber sehr klare Stimme zu vernehmen war. Die Stimme kam von oben und fragte: „Was genau meinst du mit einer großen Zahl?“

Alle sahen nach oben. Es war Bella, die als Erste die Sprache wieder fand. „Ruhe da oben auf den billigen Plätzen. Wer bist du mickriges Mistvieh überhaupt?“
„Zugegeben, Mimmi heißt man als Katze nur, wenn man mal einen Menschen hatte, dem kein besserer Name eingefallen ist. Und ich hatte früher so einen Menschen, der bis auf seine Einfallslosigkeit wirklich in Ordnung war. Aber, was tun mein Name und vor allem meine Größe jetzt zur Sache?“

Mimmi war wirklich mickrig, schwarz und mager. Außerdem fehlte ihr das rechte Auge. Doch sie saß sehr gelassen auf einem Dachbalken. Und es war ihr anzusehen, dass sie beschlossen hatte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und sich souverän zu behaupten.

„Dir ist wohl überhaupt nicht klar, wo du hier bist! Dies ist eine lebendige Krippe, die den Menschen die Weihnachtsgeschichte erlebbar machen soll. Hier haben also Herumtreiber wie du absolut nichts verloren. Wer hat jemals davon gehört, dass Katzen in der Weihnachtsgeschichte vorkommen? Da kommen noch eher Hunde vor, die die Schafe gehütet haben. Und hüte dich gefälligst davor, dich bei den Filmaufnahmen zu zeigen, wenn du schon nicht gehen willst!“, blökte der Bock böse.

„Dass das hier eine lebendige Krippe ist, pfeifen die Spatzen schon seit Wochen von den Dächern. Und auch das mit den Adventssingen ist schon lange in aller Munde. Das alles interessiert mich nicht. Ich bin nur wegen der Mäuse hier, die sich schon längst hier eingenistet haben und euer Futter fressen und alles verdrecken werden. Zwei habe ich eben schon erledigt. Dieses Pack wird auch immer dreister und arroganter. Die wissen längst, dass ich hier bin, und versuchen mir auf der Nase herumzutanzen. Sie halten mich für einen Gegner, den man nicht ernst nehmen muss, weil es viel größere Katzen gibt. Ich werde es mir hier irgendwo im Hintergrund gemütlich machen, wenn ich nicht gerade Mäuse jagen muss. Also braucht ihr keine Angst zu haben, dass ich euch die Show stehle. Ich bin wirklich nur deshalb hier, um meine Pflicht zu tun, wie es mindestens einer meiner Vorfahren in der echten Weihnachtsgeschichte auch getan hat.“
„Was bildest du dir eigentlich ein? Katzen kommen nicht in der Weihnachtsgeschichte vor und damit basta! Das wird ja immer schöner. Heutzutage darf sich wohl wirklich jeder in der Weihnachtsgeschichte wichtigmachen. Das können wir doch nicht zu lassen!“ Der Bock war außer sich vor Zorn und stampfte mehrfach drohend mit dem Vorderhuf auf.

Mimmi sagte: Ihr glaubt wohl alles, was euch die Menschen als Flöhe in den Pelz setzen. Was die Zweibeiner betrifft, seid ihr wirklich ausgesprochen naiv. Wir Katzen nähern uns den Menschen grundsätzlich mit gesundem Vorbehalt. Und daher wissen wir, dass die meisten von ihnen keinen Sinn für Wesentliches haben. Und aus diesem Grund halten sie oft bedeutsame Dinge für allzu selbstverständlich. Wer hat denn wohl dafür gesorgt, dass die Vorräte für eure Vorfahren und für die heilige Familie den Ratten und Mäusen nicht zum Opfer gefallen sind?“

Bella warf sich stolz in die Brust und verkündete: „Das ist doch klar! Das war der heilige Geist! Der heilige Geist fuhr vom Himmel herab, kurz bevor die heilige Familie im Stall eintraf und säuberte den Stall von Ratten und Mäusen und gab diesem Ungeziefer die Erkenntnis ein, dass sie nicht nur weggehen sollten, sondern sich für die bestimmte Zeit vom Stall fernzuhalten hatten, eben, bis die heilige Familie weggezogen war.“

Allmählich schien Mimmi doch die Geduld zu verlieren, was an dem zunehmend durchdringlicheren Glanz ihres smaragdgrünen Auges zu erkennen war. Und Elsa nahm an, dass ihr Schwanzende vor Aufregung zuckte, wie sie es häufig bei der dreifarbigen Katze beobachtet hatte, die bis zum Herbst mit ihnen auf dem Hof gelebt hatte.
„Vom Himmel herabfahren, um Ratten und Mäusen Erkenntnisse einzugeben, warum sollte dieser überflüssige Aufwand nötig sein? Schließlich hatte der Chef da oben uns längst erschaffen, damit wir diese Plagegeister kurzhalten!“
„So eine heruntergekommene Größenwahnsinnige!“, brüllte der Bock.

Nachdem er so geschimpft hatte, war mehrmals ein leises Geräusch zu hören. Mimmi fauchte und ließ ihren Schwanz durch die Luft peitschen. Jetzt war sie richtig zornig. Und um sich selbst zu beruhigen, murmelte sie vor sich hin: „Und meine Vorfahren haben doch ihren Platz in der Weihnachtsgeschichte gehabt, ob die Menschen sie erwähnen oder nicht! Sie haben ihre Pflicht getan. Und sie haben den Stall durch ihr Schnurren zu einem gemütlichen Ort gemacht. Von Gemütlichkeit und Annehmlichkeiten verstehen wir nämlich was.“
Wenn das wirklich wahr ist, dürfte es für dich ein Leichtes sein uns zu beraten, wer von uns die angenehmste Ausstrahlung hat und deshalb die Nummer eins in der Weihnachtsgeschichte ist!“, sagte der Ochse.

Alle waren mit diesem Vorschlag einverstanden. An der Art ihrer Zustimmung hörte Elsa, wie sehr jeder von ihnen davon überzeugt war, als Hauptdarsteller ausgewählt zu werden. Die Katze merkte das wohl auch. Und daher wollte Mimi zunächst nicht auf diese Idee eingehen. Darüber hinaus hatte sie längst genug von diesen Streitereien. Doch schließlich ließ sie sich doch dazu überreden, auch weil sie hoffte, so bei irgendjemandem einen warmen und gemütlichen Platz für die Adventszeit zu finden. Und so sprang sie zunächst dem Ochsen, dann dem Esel und danach auch den neun Schafen auf den Rücken. Und sie versuchte es sich bei jedem so gemütlich wie möglich zu machen, legte sich hin, streckte sich gemütlich aus, rollte sich zusammen, drehte sich auf die andere Seite, streckte sich aus und rollte sich zusammen. Und sie kam immer zum gleichen Ergebnis: „Nicht übel aber nicht wirklich toll und freundlich!“
Schließlich sprang Mimmi auf die Raufe und verfiel in nachdenkliches Schweigen.
„Alles nur Angeberei!“, maulte Bella, und der Jährling fügte hinzu: Natürlich! Sonst hätte sie sofort gemerkt, wer hier die beste Ausstrahlung hat, und wer der Star ist, ich natürlich!“
Es entstand eine Pause. Aber schließlich sagte Mimmi: „Irgendwie seid ihr alle ganz schön, auch wenn keiner von euch eine besonders freundliche Ausstrahlung hat. Ihr könntet euch ja auch damit abwechseln in der Weihnachtsgeschichte, eh, in dieser lebendigen Krippe wichtig zu sein und im Vordergrund zu stehen.“
Und Mimmi war die Enttäuschung darüber, dass sie keinen Freund für die nächste Zeit gefunden hatte, deutlich anzuhören.

Schließlich fiel die Katze in ein langes und tiefes Schweigen. Schließlich jedoch leckte sich Mimmi, nur um sich wieder zu sammeln die rechte Vorderpfote und ließ dann den Blick ihres verbliebenen Auges wie zufällig durch den hinteren Teil des Stalles schweifen. Plötzlich sprang sie mit zwei gekonnten Sätzen auf Elsas Rücken. Sie legte sich hin, streckte sich gemütlich aus, rollte sich zusammen, rollte sich dann auf die andere Seite, streckte sich aus und rollte sich wieder zusammen. Und endlich sagte sie so laut, dass es alle hören konnten: „Entschuldige vielmals! Beinahe hätte ich dich vollkommen übersehen und dass auch nur, weil es die dumme Zankerei gegeben hat!“ Dann rollte sie sich richtig gemütlich zusammen und brummte zufrieden: „Bei dir bleibe ich!“ Und dann begann sie laut zu schnurren.

„Das ist ja wieder mal so was von typisch! Schwarzes, unheilbringendes Pack, verträgt sich!“, schnauzte der Bock und fügte mit drohendem Unterton in der Stimme hinzu: „Aber, wenn ihr euch wirklich vollkommen im Hintergrund haltet, passiert euch nichts!“ Damit ließ er es endlich bewenden und wandte sich mit den anderen Tieren der Streitfrage zu, wer sich in der nächsten Zeit wann und wie wichtigmachen durfte.

Da Elsa und Mimmi sorgfältig darauf achteten, vollkommen im Hintergrund zu bleiben, und da die anderen Tiere allzu sehr damit beschäftigt waren, sich wichtig zu machen und sich dabei misstrauisch zu belauern, blieben die schwarze Katze und das schwarze Schaf in der Zeit bei der lebendigen Krippe von bösartigen Nachstellungen unbehelligt. Und auch, was alles andere betraf, war es eine wundervolle Zeit. Die Umgebung war angenehm, und das Futter war gut und reichlich. Viele zauberhafte Düfte wehten vom Weihnachtsmarkt herüber. Und Elsa war sicher, dass sie den anheimelnden Duft von Tannenzweigen, Tees, Kerzen, Gewürzen, Kuchen und Mandeln nie würde vergessen können. Abends wurde es dann immer besonders zauberhaft und feierlich, denn zu den wunderbaren Gerüchen war der Glanz von vielen kleinen und großen Lichtern zu sehen.

Doch die Katze lässt nicht nur das Mausen nicht. Und so beschäftigte sich Mimmi häufiger und nach Herzenslust auf ihre ganz eigene Art. so beobachtete ein kleines Mädchen am vierten Advent, wie Mimmi auf dem Stalldach waghalsige Kletterübungen machte.
„Oma, guck mal!“, rief es fröhlich. Mutter und Großmutter folgten dem Blick des Kindes. In diesem Augenblick sprang die schwarze Katze mit einem gekonnten und eleganten Satz auf Elsas Rücken und machte es sich dort so richtig bequem. Die drei Menschen kamen zu Elsa und Mimmi herüber. Die alte Frau fasste in Elsas Wolle und streichelte sie.
„Na, das gibt im nächsten Jahr mindestens einen schönen, warmen Pullover. Und schwarz ist ja auch immer so schick!“

Das Mädchen fragte seine Mutter, ob es Mimmi mitnehmen dürfe. Aber die wollte nichts davon hören.

Als die drei Menschen schließlich gegangen waren, bedankte sich Elsa bei Mimmi, weil sie durch sie endlich einen Menschen getroffen hatte, der ihre schwarze Wolle wirklich mochte. Aber sie war auch sehr traurig, dass die kleine, schwarze Katze immer noch kein richtiges Zuhause gefunden hatte. Doch dann hatte sie eine Idee.
„Du könntest doch mit uns nach Hause fahren, wenn die Zeit der lebendigen Krippe vorbei ist und der warme Stall wieder abgerissen wird. Bei uns gibt es einen schönen, warmen Stall, in dem es immer wieder Ratten und Mäuse gibt. Und die Enkelkinder des Schäfers waren zu der dreifarbigen Katze, die bis zum Herbst auf dem Hof gelebt hat, sehr freundlich. Sie haben viel mit ihr gespielt und ihr manche Leckerei zugesteckt.“
„Aber ich bin doch keine dreifarbige Glückskatze, sondern nur ein mickriger, schwarzer Streuner. Und die anderen Tiere werden mich nicht akzeptieren.“
„Aber wir sind immerhin zu zweit!“
Aber natürlich konnte Elsa Mimmi sehr gut verstehen. Und so redeten sie nicht weiter darüber.

Und dann kam der Tag, an dem der Weihnachtsmarkt zu Ende war. Weigand führte seine Schafe über den Platz, auf dem viele Menschen damit beschäftigt waren Stände und Fahrgeschäfte abzubauen. Er lud die Herde in seinen Hänger. Und Elsa dachte traurig daran, wie sehr sie Mimmi vermissen würde, als sie plötzlich spürte, wie die kleine, schwarze Katze auf ihren Rücken sprang und sich an ihrer Wolle festhielt.
Bella blökte sehr ungehalten: „Dieses kleine, schwarze Mistvieh von Katze muss aber ‚raus!“ Doch da schlug Weigand einfach die Klappe des Anhängers zu. Und als der Schäfer auf seinem Traktor gestiegen war, und sie durch die winterliche Landschaft nach Hause fuhren, war wirklich Weihnachten.
© Paula Grimm,01. Dezember 2017

Negritas Brief aus sieben Sachen

Guten Tag,

weiter geht’s im Text und mit der Paula mit einem Brief, der auch zu den sieben Sachen gehört. Es ist ein Prosatext aus meiner Lieblingskategorie Tierisches.

Heute ist kein Donnerstag der Zwölfte. Aber ich möchte heute die sieben Sachen fertig machen.

Dieser Brief ist das Ergebnis der Teilnahme an einer Blogparade zum ThemaMenschen und Aberglaube.

Ich wünsche Euch viel Vergnügen damit!

Liebe Grüße

Paula Grimm
NEGRITAS BRIEF
Negritas Brief zum Thema der Blogparade des Museumsblogs: Leben ohne Zufall? Blogparade zum Thema „Aberglauben zum Thema „Aberglauben“, http://www.museumsblog.at/2014/02/28/welt-ohne-zufall-blogparade-zum-thema-aberglauben/

Guten Tag liebe schwarze Katzen, andere Glücksbringer und Menschen mit und ohne Aberglauben,

bei diesem Thema kann ich mein schwarzes Maul und alle vier schwarzen Pfoten einfach nicht halten. Und ich muss gleich erwähnen, dass ich wohl nicht im Stande bin, das Thema ganz kurz und bündig abzuhandeln.

Freundlicherweise hat mir Paula ihren Arbeitsplatz und Webspace in ihrem Blog überlassen, und zwar so viel ich brauche.

Damit Ihr wisst, mit wem Ihr es zu tun habt, stelle ich mich kurz vor. Ich bin eine schwarze Katze mit Migrationshintergrund, wie Mensch in Deutsch gerade so sagt. Mein Name passt zu mir und beschreibt mich genau. Ich heiße Negrita, die kleine Schwarze. Ich trage einen spanischen Namen, da ich die ersten zehn Monate meines Katzendaseins auf den Straßen von Barcelona gelebt, besser gesagt, mein Leben gefristet habe. Inzwischen habe ich viereinhalb Jahre auf dem Buckel und kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich

mich im Leben auskenne, da ich mit allen vier Pfoten
fest im Leben stehe, sicher klettere und umsichtig schleiche.

Ich kenne mich aus, so gut man sich eben auskennen kann. Und ich kenne mich auch mit Euch Menschen aus, mit Eurer Jagd nach Glück, Eurem Glauben und Aberglauben, Eurer Einstellung zu den Wechselfällen bzw. Zufällen des Lebens und mit Euren Ideen zum Thema Glück und Vermeidung von Unheil.

So wie ich Euch Menschen bezogen auf die erwähnten Lebensbereiche kennengelernt habe, bin ich stark versucht, Euch in allen Punkten als absolut hoffnungslose Fälle zu bezeichnen. Aber man soll die Hoffnung niemals aufgeben. Das ist ein nützliches Prinzip, um Glück zu erleben und Unheil zu vermeiden. Voraussetzung ist jedoch, dass man nach Möglichkeit Hoffnung nicht mit Illusion verwechselt. Denn die Pflege von Illusionen führt unweigerlich zum Perfektionswahn, für den Ihr Menschen ohnehin übermäßig empfänglich seid. Wann lernt Ihr endlich, Hoffnungen von Illusionen zu unterscheiden? Und wann begreift Ihr endlich mit Kopf, Herz und Hand, dass Glück Erleben aber auch die Vermeidung von Pech keinen Perfektionswahn vertragen?

Dabei macht es keinen Unterschied, ob Ihr einem oder gleich mehreren selbsternannten spirituellen Führern und ihrer Flut von Anweisungen folgt, ob Ihr Euer Heil in der Flucht vor der Realität sucht, oder ob Ihr Euch irgendeinen Aberglauben selbst zusammenzimmert. Durch dieses Verhalten werdet Ihr immer weniger Glück
verdienen und erleben, als möglich ist. Und Ihr werdet immer mehr Leid erfahren, als notwendig ist.

Ihr sagt: „Das Glück liegt auf der Straße!“ Selbst, wenn das stimmt, werdet Ihr es nie finden und erfahren. Ihr werdet es höchstens überholen, übersehen und überfahren. Und ich weiß leider allzu genau, wovon ich hier schreibe, denn erst vorgestern habe ich bei meinen Streifzügen durch mein Revier zweiter Ordnung eine überfahrene Artgenossin gefunden. Und das war leider sogar eine von den Katzen, die manche von Euch als Glückskatzen bezeichnen, eine dreifarbige europäische Kurzhaarkatze.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich immer mehr Vertreter Eurer Spezies an die alte Weisheit erinnern: „Das Glück der Erde ist auf dem Rücken der Pferde!“ Nichts und niemand ist davor gefeit, als Objekt für Eure Jagd nach dem Glück oder zur Vermeidung oder Linderung von Unheil ge- oder missbraucht zu werden. Ihr Glückskäfer mit den Jahrespunkten auf dem Rücken, Ihr Pferde, die Ihr ab und zu Eure Hufeisen verliert, und Ihr dreifarbigen Glückskatzen tut alles, was Ihr tun könnt, und was wir vermeintlichen Unglücksbringer auch tun würden, um Menschen glücklich zu machen und ihnen Glück zu bringen! Und nehmt auch Ihr es nicht zu schwer, dass es Euch oft nicht so gelingt, wie es sein soll. Ihr könnt nichts dafür!

Und was Euch Menschen betrifft, steht Ihr oft Euch und Eurem Glück mit Eurem Übereifer selbst so gut im Weg, wie Ihr könnt und erlebt dadurch mehr Unheil als für Euch vorgesehen ist.

Da kann man nichts tun, als so gelassen und geduldig als möglich das eigene Leben für seine Freunde und sich selbst so gut wie man es eben vermag in die Pfote zu nehmen.

Wir schwarzen Katzen zählen im christlichen Abendland eindeutig zu den Unglücksbringern. Aber jede schwarze Katze sollte wissen, dass die Menschen bezogen auf diesen Aberglauben wie der Mond sind. Sie haben ihre Phasen.
Unglücksbringer sind wir immer. Aber angeblich bringen wir an Donnerstagen in der Abenddämmerung, wenn wir Menschen über den Weg laufen, besonders viel Unglück, wenn der Donnerstag der 12. eines Monats ist.
In diesem Zusammenhang habe ich mich am Donnerstag, dem 12. Dezember 2013, zu zwei Dingen entschieden. Ich will nicht herausfinden, wie die abergläubischen Menschen ausgerechnet auf dieses schmale Brett gekommen sind, und warum sie offenbar seit mehreren Jahrhunderten an diesem Gedanken festhalten. Außerdem tue ich seit diesem Donnerstag im Dezember nicht mehr so, als könnte ich in dieser Sache auf sie Rücksicht nehmen. Sie sind sich in diesem Punkt ja noch nicht mal einig. Manche glauben, wir dürfen ihnen nicht von links nach rechts über den Weg laufen. Andere behaupten das Gegenteil. Und wieder andere meinen, dass wir ihnen Unglück bringen, wenn wir ihnen überhaupt über den Weg laufen. Wer soll daraus noch schlau werden und sich entsprechend verhalten? Flüche, abwehrende Gesten, hysterische Stoßgebete und Wasserspritzer, die Katze vertreiben sollen, gibt es sowieso. Es ist ein Kreuz mit den abergläubischen Menschen. Dabei gehen wir auch an Donnerstagen, die ein 12. im Monat sind, mit guten Absichten durch unser Katzenleben, wenn wir nicht gerade auf der Jagd nach Ungeziefer sind.

Da es ohnehin sinnlos ist, dem menschlichen Aberglauben und seinen Folgen zu entkommen, werde ich an jedem Abend und Morgen, die der Herr werden lässt, gewissenhaft mein Revier zweiter Ordnung durchstreifen und alles nutzen, was mir auf meinen Wegen so zufällt.

Uns Lebewesen fällt ohnehin alles zu, was uns begegnet. Denn wir können kaum etwas selbst bestimmen. Wir können nur nutzen, was uns an Gutem zufällt. Und wir können uns nur dem stellen, was uns an Unheil widerfährt. Es könnte sein, das Ihr Menschen nur deshalb so extrem nach Glück jagt und so krampfhaft versucht, Unheil von Euch fernzuhalten, da Ihr das mit den Zufällen missversteht. Ich bleibe dabei, dass uns alles zufällt. Nicht nur ein außergewöhnlich großes Glück wie ein neues gemütliches Revier erster Ordnung nach zehn Monaten auf der Straße fällt uns zu. Auch alle schrecklichen Ereignisse sind Zufälle. Diese Extreme sind nur die Zufälle, die seltener auf einen zufallen. Aber jedes Blatt, mit dem ich jagen üben kann, fällt mir vom Baum mit Hilfe des Windes zu. Das ist doch ganz einfach, oder nicht?

Und was die Rituale betrifft, so habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass sie tatsächlich etwas mit dem Bringen des Glücks zu tun haben. Deshalb verlasse ich mein Revier erster Ordnung niemals, ohne mich vorher sorgfältig gewaschen und mich ausgiebig am Topf der
großen Palme gerieben zu haben.

Das ist ein starker Ausdruck meiner Dankbarkeit, die ich empfinde, da ich jetzt schon über drei Jahre bei freundlichen und anständigen Menschen in einem so angemessenen Revier erster Ordnung leben darf. Und aufrichtige Dankbarkeit erhält das Glück und lockt es an. Unterschiedliche Rituale brauchen Zeit. Die Zeit, die diese Rituale brauchen, brauchen die Lebewesen auch, um innezuhalten, damit sie überhaupt fühlen können, was ihnen da zufällt. Ist es etwas Zu- oder Abträgliches? Das Innehalten taugt auch dafür, dass man sich sammeln, sich dem Elend stellen oder einen glücklichen Zufall nach Herzenslust genießen kann.

Übrigens, liebe Menschen, da fällt mir noch etwas ein. Mich freut es von ganzem Hrzen, wenn ich Euch oder einem anderen Wesen am Donnerstagabend vor Freitag dem 13. von links nach rechts über den weg laufe. Denn alles, was zufällig von links kommt, kommt von Herzen.

Es gäbe da noch so viel zu sagen. Aber ich lasse es damit erst einmal bewenden und wünsche Euch allen viel Glück, eine gute Entwicklung Eurer Intuition, bei der Gefühl und Verstand sinnvoll zusammenarbeiten, und die angemessenen Rituale! Und Ihr lieben Zweibeiner tut Euch und uns anderen Lebewesen den Gefallen, daran zu denken, dass auch bezogen auf das Glück weniger mehr ist.

Liebe Grüße

Negrita

Valentinas große Fahrt (Erlesenes)

Guten Tag,

heute stelle ich für Euch ein Buch unter der Kategorie Erlesenes in meine Bibliothek ein, das sich mit dem Thema Inklusion befasst. Die Angaben beziehen sich auf das gedruckte Buch, das mit sehr schönen und ausdrucksvollen Bildern den Text bereichert. Ich selbst habe es als Hörbuchversion gehört.

Titel: Valentinas große Fahrt
Autor*innen: Annabell Behrmann, Miriam Opresnik, Sabrina Kotzerke

ISBN: 978-3-8375-2573-1 (Gebundenes Buch)

INHALT

Valentina hat das tollste Fahrrad der Welt – findet sie: Es ist rot und hat schwarze Punkte wie ein Marienkäfer. Und es hat drei Räder. Manche Kinder meinen, so ein Dreirad sei nur was für Babys. Aber das ist Quatsch. Denn mit ihrem Fahrrad trainiert sie für die Special Olympics Weltspiele. Das ist die größte Sportveranstaltung für Menschen wie Valentina. Sie hat das Down-Syndrom. Deswegen ist sie ganz besonders. „Besonders toll“, sagen ihre Eltern. Valentina möchte unbedingt eine Medaille gewinnen und allen zeigen, was in ihr steckt. Doch dann passiert ausgerechnet vor ihrem Radwettbewerb ein Unglück. Wird Valentina trotzdem starten können?

Da das Buch über Valentinas große Fahrt bebildert ist, eignet sich das gederuckte Buch auch für Menschen, die nicht oder noch nicht lesen können zum Vorlesen.

Wer nicht vorlesen kann oder möchte, kann das Buch trotzdem an diejenigen verschenken, die nur die Bilder schauen können. Dazu kann das Hörbuch heruntergeladen werden. Es ist eine angenehme Lesung. Und immer, wenn es in der Geschichte weitergeht, erklingen Gitarrentöne. Und hier kommt der Link zur kostenfreien Hörbuchversion.

Ich wünsche viel freude mit Valentinas Geschichte!

Liebe Grüße

Paula Grimm

Hundstag aus sieben Sachen

Guten Tag,

auch dieser Beitrag ist ursprünglich für die Schreibgruppe der evangelischen Blindenseelsorge im Rheinland geschrieben worden.

In den sieben Sachen gehört der Text in die Kategorie Tierisches.

Ich wünsche Euch gute Unterhaltung.

HUNDSTAG

Geschrieben im Sommer 2012 für die Schreibgruppe der evangelischen Blinden- und Sehbehindertenseelsorge im Rheinland zum Thema Ein- und Umzug.

Man fühlt sich einfach hundeelend an diesen Hundstagen. Seit vorgestern liegt ein Gewitter in der Luft. Es kommt aber nicht. Und bei dieser Affenhitze kommt man als Hund deshalb wirklich auf den Hund, will heißen, dass Hund auf sich allein gestellt ist und auf verlorenem Posten steht, weil die Menschen, um die der Hund sich zu kümmern hat, die Bullenhitze auch nicht besser vertragen als wir Hunde.
Sie sind gereizt und unkonzentriert und spätestens am Mittag scheint ihr viel gelobter Menschenverstand durch die Sonne verdampft zu sein, in der sie sich freiwillig rösten lassen.
Der heutige Tag war so richtig für die Katz. Das fing schon vor dem Aufstehen mit diesem Alptraum an. Mir träumte, ein dicker, lauter und stinkender Mann wäre mit einem Hund und zwei Katzen bei uns eingezogen. Als ich aufwachte, schimpfte ich mit mir selbst: „Emma, du bist doch kein hysterischer Kleinkläffer, sondern ein gestandener Rottweiler. Und dass Lena und Carmen noch mindestens einen Mitbewohner suchen, ist doch eigentlich eine gute Sache.“

Doch dieser ekelhafte Gestank des Mannes und der beiden Katzen gingen mir einfach nicht mehr aus dem Sinn. Woher kannte ich nur diesen scheußlichen Geruch? Trotzdem nickte ich noch einmal ein. Kurze Zeit später hörte ich Lena die Treppe herunterkommen und stand natürlich mit der falschen Pfote zuerst auf. Lena fand, dass ich nicht schnell genug an der Terrassentür war. „Emma, wo bleibst du denn? Jetzt aber ‚raus mit dir, hopp.“
Als ich gerade draußen war, machte Lena hinter mir die Tür zu. Und das ist eine von diesen isolierten Türen. So konnte ich nicht hören, was meine Frauchen drinnen besprachen. Da stand ich nun und merkte, dass mehr in der Luft lag als dieses Gewitter.
„Menschenskinder, ich passe wirklich gern auf euch auf. Aber wie soll ich das anständig tun, wenn ich nicht weiß, was abgeht?“
Also durchstreifte ich gewissenhaft witternd und aufmerksam lauschend erst einmal den Garten. Es war alles beim Alten und noch in Ordnung. Es war schon so warm, dass ich beim Gartenteich angekommen die unbändige Lust verspürte, ein kühles Bad zu nehmen. Doch ich darf nicht in den Gartenteich. Lena meint: „Das ärgert und stört die Fische.“ Mich stören verschlossene Türen, die Hund beim besten Willen nicht öffnen kann. Und diese blöde Terrassentür war so was von zu.
Schließlich machte mir mein Frauchen Carmen die Tür wieder auf. Doch es war klar, dass mir nichts anderes übrig bleiben würde, als den Vormittag im einigermaßen

kühlen Flur herumzulungern. Meine Frauchen arbeiten zwar Zuhause, aber ich kann Carmen nicht bei ihrer Übersetzungsarbeit und Lena nicht bei ihren Telefonberatungen helfen.
Gegen Mittag kam Lena die Treppe herunter, nahm meine Leine vom Haken und klinkte sie in meinem Halsband ein.
Aber wir machten keinen Spaziergang, sondern einen Einkauf. Die Einkaufstour war allerdings sehr aufschlussreich, wie es heute weitergehen sollte. Wir gingen zum Supermarkt, wo Lena Obst, Gemüse und Milchprodukte kaufte.
Danach ging Lena in die Metzgerei. Als sie herauskam, roch es aus ihrer Tasche köstlich nach Koteletts, Würstchen und Bauchfleisch. Das konnte nur bedeuten, dass heute Besuch zum Grillen kommen sollte. Ich mag Grillen eigentlich nicht. Der Feuergestank geht mir auf den Geist. Doch zumindest gibt es normalerweise für mich eine gute Portion ungewürztes Fleisch, oft sogar mit einem Knochen.

Auch in der Bäckerei kaufte Lena ein. Sie nahm von dort nicht nur Brot, sondern auch Kuchen mit. Also würde der Besuch schon zum Kaffeetrinken kommen. Endlich Zuhause angekommen, musste ich eine derbe Enttäuschung hinnehmen. Lena würzte das Fleisch, legte es in eine Marinade ein und verstaute es im Kühlschrank. Doch diesmal ließ sie nicht ein einziges Häppchen ungewürzt und schnitt nicht einmal einen kleinen Knöchen für mich ab. Was mochte das für ein Besuch sein, der Menschen dazu trieb, ohne Not den

gerechten Anteil für den treuen Rottweiler zu vergessen? Und wieder musste ich an den scheußlichen Kerl in meinem Alptraum denken. Ich bin ein wachsames, aber auch gastfreundliches Haustier. Doch als die Kühlschranktür vor dem Fleisch, von dem ich nichts abbekommen sollte, von Lena zugemacht wurde, erreichte meine Lust, diesen Besuch zu empfangen, ihren absoluten Nullpunkt.
Dann hieß es wieder warten. Doch endlich kam Carmen die Treppe herunter. Sie kochte Kaffee und deckte den Tisch. Als sie die Thermoskanne mit dem Kaffee auf den Tisch gestellt hatte, ging sie noch einmal nach oben, um sich frisch zu machen. Jetzt konnte es wirklich nicht mehr lange dauern, bis der Besuch kommen sollte. Ich ging witternd und mit gespitzten Ohren im Flur auf und ab. Schließlich hielt ein Auto vor dem Hoftor und zwei Männer stiegen aus.
Gemeinsam kamen die beiden auf die Haustür zu. Der Eine verabschiedete sich von dem Anderen und ging zum Auto zurück. Der Andere, der wie der Kerl in meinem Alptraum stank, wartete noch, bis der Erste nicht mehr zu hören war, tastete dann nach dem Klingelknopf, wie es auch Carmen tut, weil sie blind ist. Dann wartete er noch ein bisschen. Doch genau in dem Augenblick, als er Sturmklingeln wollte, um uns alle zu erschrecken, schlug ich kräftig an. Wenn Einer mir so kommen will, muss er mehr auf Zack sein. Weil er mich hatte ärgern wollen und mir gewaltig stank, bekam dieser Wichtigtuer selbstverständlich nicht meinen freundlichsten Begrüßungston zu hören. Ich ließ ein
74 Knurren im Ansatz, gefolgt von einem lauten Bellen und einen grollenden Ausklang hören. Der Kerl erschreckte sich zwar und zögerte, aber er fand schnell seine Gelassenheit wieder und setzte zu seinem geplanten Sturmklingeln an.
„Emma, aus!“, brüllte Lena, als sie und Carmen gemeinsam die Treppe herunter kamen. Dieser gemeine, keifende Unterton hätte wirklich nicht sein müssen, obwohl ich gerade ungeheure Lust verspürte, bei meinem Drohen noch einen Zahn zuzulegen, aus tiefster Brust zu knurren und die Lefzen hörbar hochzuziehen. Gehorsam, wie ich nun einmal bin, stellte ich meinen Protest gegen diesen ekelhaften Typen sofort ein und verzog mich unter den Wohnzimmertisch. Dort wartete ich auf die Menschen. Ich konnte nicht abhauen. Schließlich musste ich ja herausfinden, ob sich mein Alptraum bewahrheiten würde. Bei Menschen weiß man nie, was sie so anstellen.

Eine Zeit lang unterhielten sich die Menschen im Flur. Als ich die Stimme des Mannes hörte, fiel mir plötzlich ein, woher ich ihn kannte. Ich erinnerte mich mit Schaudern daran, dass er einmal mit Carmen ausgegangen war, als ich noch ein Welpe gewesen war. Es war damals ein sehr langer Abend in einer Kneipe in der Innenstadt geworden. Er hatte viel auf Carmens Kosten getrunken. Und er hatte geredet und geredet. — Wen er kennt, was er weiß, wie schön er ist, wie klug er ist.‘.. — Er heißt übrigens Horst.
Er ließ sich von Lena ins Wohnzimmer führen und setzte sich auf das Sofa. Leider hatte er mich wohl
gehört, weil ich mich nicht absolut still verhalten kann. Ich bin ja noch nicht tot. Er beugte sich zu mir herunter, tätschelte meine linke Seite und begann, auf mich einzureden.
„Wie schön, dass wir uns wiedersehen. Braver Hund, Emma.“

Carmen und Lena kamen mit dem Kuchen ins Wohnzimmer und setzten sich Horst gegenüber an den Tisch. Das passte ihm nicht. Und ich erinnerte mich daran, dass er damals in der Kneipe allzu gern mit Carmen auf Tuchfühlung gegangen war. Ich spürte heute Nachmittag, wie sehr er sich über die Distanz zu seinen Artgenossinnen ärgerte, genauso wie er sich damals über Carmens vorsichtigen Rückzug auf die andere Seite des Tisches geärgert hatte.
Er tätschelte wieder und wieder meine Seite. Dann begann er wieder auf mich einzureden: „Na, Emma, wie geht es uns bei dieser Hitze denn so, Dicke?“
Lena war so dumm, auf dieses Gerede zu reagieren, indem sie sagte: „Ja, das ist so eine Sache bei dieser Art von Hunden. Ich denke auch oft, dass die Emma zu dick und schwerfällig ist.“
Doch Carmen sagte das, was ich dachte: „Das, was die Emma auf ihren kräftigen Knochen hat, ist reines Muskelfleisch. Wovon sollte sie auch zu dick sein? Sie trainiert fleißig im Hundeverein und ist auch sonst nicht faul.“
Endlich ließ er von mir ab. Das Thema war fürs Erste erledigt. Doch er redete und redete.

Beim Kaffeetrinken langten Horst und Lena kräftig zu. Und sie hing förmlich an seinen Lippen. Was die an diesem „Stinkstiefel“, wie Menschen so sagen, findet? Schließlich kam er zum Grund seines Besuches und erzählte, dass er für sich und seine Haustiere eine neue Bleibe suchte. Nach dem Auszug seiner Freundin kann er sich die Miete für die Wohnung, in der er gerade lebt, nicht mehr leisten. Und natürlich zeigten meine Frauchen ihm nach dem Kaffeetrinken das ganze Haus, vom Keller bis zum Dachboden. Carmen tat es aus Gutmütigkeit und verhielt sich sehr zurückhaltend. Lena tat es aus wachsender Begeisterung für diesen Kerl. Sie wurden sich handelseinig und stießen beim Grillen auf die neue Hausgemeinschaft an. Er wird also mit seinen beiden Katzen und seinem Blindenführhund in zwei Wochen bei uns einziehen.

Kaum war das geklärt, begann er wieder ohne Unterlass zu reden. — Wen er kennt, was er weiß, wie schön er ist, wie klug er ist… Er unterbrach sich selbst nur kurz, um zu trinken. Er redete auch mit halb vollem Mund weiter. Er ist das, was Menschen einen Schaumschläger oder Dünnbrettbohrer nennen. Ich meine:
„Er ist ein Luftbeißer und Wasserschnapper.“

Wenn er doch wenigstens seine Hündin mitgebracht hätte. Dann hätten wir einander schon einmal beschnuppern und ein Gespräch von Hündin zu Hündin über die neue Hausgemeinschaft und die gemeinsame Zukunft führen können. Aber was konnte man von so einem schon erwarten?
Es war bereits dunkel, als sena und ich Horst zur Bushaltestelle begleiteten. Auf dem Rückweg begann Lena mit mir zu schimpfen: „Was ist los mit Dir, alte Miesepeterin? Du hast ja zu überhaupt nichts mehr Lust, faules Stück.“
Und ich dachte so bei mir: „Ich bin nicht faul. Und da gibt es einige Sachen, auf die ich richtig Lust habe, ein kühles Bad im hauseigenen Gartenteich, ungewürztes Fleisch, vielleicht sogar mit einem Knochen und eine unkomplizierte Hausgemeinschaft mit Leuten und Tieren, die nicht stinken.“

Liebe Grüße

Paula Grimm

Cucurbitus Rex (Sieben Sachen)

Guten Tag,

weiter geht’s ab mit der Paula und ihren Geschichten. Und diese Geschichte zeigt, dass es bei der Paula nicht lange ohne Magie abgeht.

Auch die zweite Geschichte, die ich heute in Vielseitigkeit einstelle, passt terminlich und jahreszeitlich nicht zum Veröffentlichungsdatum. Aber es gilt auch für den König der Kürbisse: „Die Geschichte frisst kein Brot.“ Und sie bleibt wie alle Geschichten im Blog, und zwar mindestens so lange, wie Vielseitigkeit bestehen kann.

Ich wünsche viel Spaß mit der Geschichte zum Thema Helloween!
Cucurbitus Rex
„ich nehme diesen Kürbis da!“, sagte Wolfgang Wendler. Er konnte sich selbst überhaupt nicht erklären, warum er mit der Verkäuferin hinter dem Marktstand im Befehlston gesprochen hatte. Und er zeigte nachdrücklich mit einem Finger auf einen großen, glänzenden Kürbis. Es war keineswegs das größte Exemplar, das Wendler unbedingt haben wollte. Es waren wohl die Farbe und der Glanz der Schale, die ihn sofort fasziniert hatten. Aber vielleicht war da auch noch etwas ganz anderes gewesen. Er konnte sich seine Entscheidung später nicht mehr erklären.
„Ist sich ganz besonderer Kürbis!“, sagte die Verkäuferin lächelnd, während sie den Kürbis auswog. Sie legte den Kürbis vor Wendler hin, beugte sich zu ihm vor und flüsterte ihm zu: „Fünf Euro, bitte!“ Die Frau sah so aus und hörte sich auch so an als ob es ihr grundsätzlich peinlich wäre für diese Frucht einen Preis zu verlangen. Wendler gab ihr einen Fünfeuroschein. Und als er seine Geldbörse einsteckte und den Kürbis nahm, wiederholte die Frau mit einem verschwörerischen Unterton in der Stimme: „Ist sich ganz besonderer Kürbis!“ Und während Wolfgang Wendler zu seinem Auto zurückging, fragte er sich ob er in der Stimme der Verkäuferin nicht auch etwas Drohendes gehört hatte. Oder bildete er sich das nur ein?

Wendler hatte den Kürbis gekauft, weil er seinen drei Kindern eine Halloweenparty versprochen hatte. Zu diesem Fest hatte er zwei befreundete Familien eingeladen. An diesem Abend würden sich insgesamt sechzehn Personen um seinen Esstisch versammeln. Und Wendler wollte um jeden Preis verhindern, das dieses Fest zu einer Maskerade im amerikanischen Stil mit den vielen Süßigkeiten und dem gruseligen Brimborium verkam. Der Kürbis war nichts weiter als das einzige Zugeständnis an Halloween. Und wenn Wendler die prächtige Frucht zu einer Suppe nach seinem Spezialrezept verarbeitet haben würde, war sie ohnehin nichts weiter als eine Hommage an die Jahreszeit und eine gute Portion Bildung und Geschmacksbildung nicht nur für seinen Nachwuchs.

Wolfgang Wendler war 35 Jahre alt und arbeitete als Gymnasiallehrer für Biologie, Geschichte und Sport. Der 31. Oktober war in diesem Jahr ein Freitag. Und Wendler hatte nur drei Stunden Unterricht gehabt. Als er an diesem Vormittag nach Hause fuhr, musste er sehr langsam fahren und ärgerte sich sehr darüber. „Da wohnt man nun in einer Gegend, von der es heißt, dass sie so flach ist, dass man morgens schon sieht, wer am Nachmittag zum Kaffee kommt. Und was hatte man davon? Vor allem im Frühjahr und im Herbst hat man selten eine anständige Sicht.“ Auch an diesem Vormittag hielt sich der Nebel, der von Feldern, Wiesen, Wäldern und den großen Teichen aufstieg, zäh und würde sich wahrscheinlich den ganzen Tag lang nicht vollends lichten. Und in Großbritannien gab es viele Regionen dieser Art. Es war kein Wunder, dass an solchen Orten Bräuche wie Halloween entstanden waren und sich wie der Glaube an Zauberer und Hexerei so hartnäckig hielten.

Zuhause angekommen trug Wendler den Kürbis in die Küche und legte ihn auf den Tisch. „Und jetzt wird nichts mehr schief gehen und alles so laufen, wie ich es will!“, dachte er. Seine Frau Irene und ihre beiden achtjährigen Söhne, Ben und Alex kamen aus dem Wohnzimmer. Und nur einen Augenblick später kam auch die kleine Selma die Treppe heruntergeflitzt. Die Zwillinge waren ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, blond mit runden Gesichtern und stämmigem Körperbau. Und Wendler war sehr stolz auf die beiden, da er sich einbildete, dass sie ihm auch charakterlich sehr ähnlich waren. Selma war vier Jahre alt und hatte wie ihre Mutter schwarzes Haar. Wendler sah sie mit missbilligendem Blick an. Denn sie trug ihr Katzenkostüm, das eigentlich nur für Karneval gekauft worden war. Er mochte nicht zugeben, dass sie darin mit ihrem aufgeweckten und pfiffigen Gesicht, in dem zwei dunkelblaue Augen glänzten, einfach bezaubernd aussah. „Das Gelump ziehst du aber gefälligst aus, wenn heute Abend die Gäste kommen! Ist das klar?“ Selma nickte traurig tröstete sich dann aber damit, dass sie bis zum Abend noch reichlich Zeit hatte, eine verspielte Katze zu sein.

Obwohl die Kürbissuppe eine Spezialität von Wolfgang Wendler war, hatten die Kinder noch nie einen Kürbis gesehen und bestaunten das große, glänzende Exemplar erst einmal wortlos. Schließlich meinte Ben bewundernd: „Boah, Papa, das ist aber wirklich ein richtiger Kawenzmann!“
„Und deshalb werde ich die Kürbissuppe auch in dem großen Einweckkessel von Oma machen!“
„ich finde, der sieht richtig schön aus!“, meinte Selma und berührte die Schale der Frucht ganz behutsam.
„und ich sage euch, dass ich aus diesem Kürbis, botanischer Name Cucurbita, eine exzellente Suppe zubereiten werde, die einerseits rustikal und kräftig und andererseits raffiniert und delikat sein wird. – Übrigens, züchten Menschen seit fünftausend Jahren fünf verschiedene Sorten von Kürbissen.“

Um sich für den Vortrag, den er seinen Kindern halten wollte, zu stärken, ging Wolfgang Wendler zum Kühlschrank, auf dem die Thermoskanne mit dem Kaffee war, nahm sich seine Tasse, die daneben stand, goss sich Kaffee ein, nahm sich ein Stück Zucker, rührte kurz und heftig um. Dann wandte er sich wieder dem Küchentisch, dem Kürbis und seiner Familie zu.

Er holte tief Luft kam aber nicht dazu weiter zu sprechen. Denn plötzlich war ein leises aber doch sehr deutliches Summen zu hören, das ihn innehalten ließ. Das Summen kam nicht vom Kühlschrank und auch nicht von der Heizung. Das wurde Wendler ziemlich schnell klar. Konnte das Summen von dem Kürbis kommen?
„Papa, ich weiß ja nicht wie lange fünftausend Jahre sind. Aber Kürbisse werden schon seit acht- bis zehntausend Jahren vor Christus von Menschen gezüchtet. Das ist sogar durch Funde bei Ausgrabungen belegt!“, erklärte Selma plötzlich.
„Wie um drei Teufels Namen kommst du denn darauf?“
„Da bin ich gar nicht selbst drauf gekommen. Das hat der Kürbis gesagt!“ Und als alle anderen sie ungläubig ansahen, fuhr sie fort: „Und der muss es ja schließlich wissen. Er ist ja selbst ein Kürbis.“
„Hör’ jetzt mal gefälligst genau zu, Selma! Der Kürbis weiß überhaupt nichts. Und deshalb weiß er auch nichts über sich selbst. Denn er ist nur eine Pflanze, ein Kürbis eben!“ Und während ihr Vater sprach, hatte er wie so oft und wie alle anderen in der Familie diesen übertrieben geduldigen Ton in der Stimme, den Selma überhaupt nicht leiden konnte, auch, weil sie ihn allzu häufig zu hören bekam.
„Warum glaubst du, dass der Kürbis nichts weiß? In ihm sind bestimmt viele von den Sachen drin, von denen du behauptest, dass man sie zum Leben braucht, weil sie sooo gesund sind. Und diese Sachen braucht man dann ja auch zum Lernen, Denken und Wissen!“

Wolfgang Wendler, Alex und Benn kamen nicht dazu Selma auszulachen oder zu belehren. Sie hielten irritiert inne, denn der Kürbis summte abermals und drehte sich auf die Seite, sodass er hochkant auf dem Küchentisch stand.
„Übrigens, Papa, der Kürbis muss jetzt weg. Er hat nämlich noch was wichtiges vor!“, sagte Selma, ging durch die offene Küchentür auf die Haustür zu und öffnete sie. Als der Kürbis dann vom Küchentisch sprang und auf die Haustür zurollte, sah Selma ihren Vater an und sagte: „Reg’ dich nicht auf! Du kriegst ja ‚nen neuen!“ Und während sie das sagte, strahlte ihr Gesicht reine Zuversicht aus.

An der Haustür hielt der Kürbis kurz inne, summte ganz besonders freundlich und kullerte dann mit zunehmender Geschwindigkeit auf das Hoftor zu. Selma winkte ihm nach und rief: „Gern geschehen, Cucurbitus Rex!“

Mit einem raschen Blick hatten sich Wolfgang, Alex und Ben darauf verständigt dem Kürbis zu folgen. Im Vorbeihasten schnappten sie sich noch ihre Jacken von der Garderobe und stürmten zur Haustür hinaus.
„Den holt ihr sowieso nicht ein!“, dachte Selma, die mit wachsender Freude die Flucht des Kürbisses beobachtet hatte. So war ihr nicht entgangen, wie Cucurbitus Rex mit einem eleganten Satz das kleine Hoftor überwunden hatte. Schließlich machte sie die Haustür wieder zu, und weil sie doch ein Bisschen traurig darüber war, das der Kürbis schon wieder weg war, und sie nicht wusste, wohin er rollte, und was er vor hatte, tröstete sie sich selbst mit dem Gedanken: „Er macht das bestimmt so wie der dicke, fette Pfannekuchen im Märchen von den Gebrüdern Grimm und rollt zu einer armen Familie, damit die Kinder was zu essen haben.“

Es dauerte seine Zeit, bis die Herren der Schöpfung begriffen, wie sinnlos es war, den Kürbis zu verfolgen. Denn für eine Kreatur, die ihrer Anlage nach dazu bestimmt ist, auf dem Feld immer an der selben Stelle zu stehen und nur ordentlich zu wachsen, um sich schließlich abschneiden zu lassen, auf ein Fahrzeug geladen zu werden, um dann endlich verkauft, zerkleinert, zubereitet und verspeist zu werden, legte der Kürbis ein mehr als erstaunliches Tempo vor.

Schon auf der kleinen Straße, an der sie wohnten, zwang Cucurbitus Rex sie zu einem Dauerlauf, wenn sie sich nicht von ihm abhängen lassen wollten. In dieser Geschwindigkeit ging es auch auf der Landstraße weiter, die der Kürbis Richtung Ortskern entlang rollte. Im Ort angekommen, witterten Wolfgang Wendler und seine Söhne die Chance den König der Kürbisse endlich zu fangen. Denn hier musste die Frucht ihr Tempo drosseln. Es waren viele Leute unterwegs und nicht alle fanden die Zeit vor Schreck zur Seite zu springen. Aus diesem Grund musste der Kürbis um viele Personen herum rollen. Doch seine Verfolger stellten bald enttäuscht fest, wie geschickt und schnell er nicht nur um die Menschen herumrollte, die ihm begegneten. Ebenso gekonnt wich er Hunden, geparkten Autos und Aufstellern aus.
Nur einem einzigen Aufsteller konnte Cucurbitus Rex nicht ausweichen, da ihm gerade ein kleiner Hund entgegen rannte. Der Aufsteller fiel krachend zu Boden. Und der Kürbis musste einen ordentlichen Satz machen, um über ihn hinweg zu springen. Im Vergleich zu ihm stellten sich seine Verfolger reichlich ungeschickt an. Sie rempelten einander und andere Fußgänger häufig an und kamen oft aus dem Tritt, da sie über Gegenstände stolperten. So kam es dazu, dass der Kürbis an einer T-Kreuzung abbog, und die Wendlers zu spät erkannten, welchen der beiden Wege der Kürbis eingeschlagen hatte. Sie bogen nach rechts ab. Nach wenigen Metern blieb Wolfgang Wendler stehen, holte ein paar Mal tief Luft, um zu Atem und zu Ruhe und Besinnung zu kommen. Dann sagte er endlich: „Ich befürchte, das War’s! Der ist nach links gerollt. Den holen wir nicht mehr ein. Ihr geht jetzt nach Hause. Und ihr erzählt niemandem, wie der uns geleimt hat! Ist das klar?“ Alex und Ben nickten. Mit eingezogenen Köpfen traten sie einen Umweg nach Hause an und hofften, dass ihnen niemand begegnete, der sie erkannt hatte, als sie hinter Cucurbitus Rex hergelaufen waren.

Wolfgang Wendler sah seinen Söhnen so lange nach, bis sie aus seinem Sichtfeld verschwunden waren. Dann überlegte er, was er jetzt tun sollte. Mit der festen Absicht einen neuen und viel schöneren und größeren Kürbis zu kaufen machte er sich auf den Weg zum Obst- und Gemüseladen. Und dann stand er schließlich vor dem großen Sortiment mit den unterschiedlichsten Kürbissen und ihm sank der Mut. Er hatte heute schon einen fatalen Missgriff getan. Das sollte sich auf keinen Fall ein zweites Mal wiederholen. „Pechsträhnen und Fehlerserien reißen zwar auch mal ab. Aber das tun sie in der Regel nicht so schnell!“, dachte Wolfgang Wendler. „Und ich habe es überhaupt nicht nötig mir ausgerechnet von Kürbissen sagen zu lassen, was ich kochen soll. Und meine Vorratskammer ist immer gut und umsichtig gefüllt. Da brauche ich doch diese unverschämten Früchte nicht!“ Also machte Wolfgang Wendler auf dem Absatz kehrt und machte sich so ruhig und gelassen wie er es vermochte, auf den Heimweg.

Um viertel vor zwei kam Wolfgang Wendler zu Hause an. Er wollte gerade die Haustür aufschließen, als er sah, dass etwas auf der Fußmatte lag. Er wich erschrocken einen Schritt zurück, als er erkannte, was da lag. Es war ein großer, glänzender Kürbis. Doch es war nicht der König der Kürbisse. Denn diese Frucht war nicht ganz so groß und glänzend wie das Exemplar, das Wendler am Vormittag auf dem Markt gekauft hatte.

Als der Kürbis bemerkte, dass er von Wendler angesehen wurde, begann auch er wie Cucurbitus Rex leise zu summen.
„Zu Diensten, der Herr! Seine Majestät, Cucurbitus Rex, schickt mich, damit Sie einen Kürbis für Ihr geplantes Abendessen haben!“
Wendler beugte sich vor und fragte ganz leise: „Heißt das, dass du dich gleich wie ein ganz normaler Kürbis verhalten wirst, obwohl du dich jetzt mit mir unterhältst?“
„Ja wohl, mein Herr!“
„Und wenn wir gleich ins Haus gehen, lässt du dich wirklich ganz normal hereintragen, springst nicht vom Tisch, summst nicht und lässt dich zerteilen und verarbeiten, wie es sich für einen Kürbis gehört?“
„Aber selbstverständlich, mein Herr!“
Wendler war keineswegs von dem überzeugt, was dieser Kürbis sagte. Der konnte ihm viel erzählen! Wenn ein Kürbis mit ihm sprach, was dieser Frucht nicht zustand, war etwas überhaupt nicht in Ordnung. Also fragte Wendler misstrauisch: „Wie kann ich denn sicher sein, dass ihr mich nicht nach Strich und Faden leimt, du und dein König? Wer sagt mir denn, dass du kein faules Früchtchen bist oder ein Zaubermittel enthältst? Du kannst ja noch nicht mal beurteilen, ob du reif und schmackhaft bist!“
„Dass ich reif bin, kann ich Ihnen versichern. Das kann ich selbst beurteilen. So wie Sie wissen, wie alt Sie sind, weiß ich auch, wie alt und reif ich bin. Was ich jedoch nicht beurteilen kann, ist, ob ich schmackhaft bin. Wer könnte das schon von sich selbst sagen? Aber seine Majestät hätte mich sicherlich nicht für Ihre Mahlzeit ausgewählt, wenn ich nicht schmackhaft wäre!“
Wolfgang Wendler bezweifelte natürlich, dass Kürbisse überhaupt etwas wussten, und dass sie auch nur die geringste Ahnung von Geschmacksfragen hatten. Aber dazu sagte er nichts. Ihm ging eine ganz andere Frage durch den Sinn, die er viel wichtiger fand.
„Warum lässt sich dein König zuerst ganz normal von mir kaufen und nach Hause bringen, bevor es ihm einfällt, sich aus dem Staub zu machen?“
„Das weiß ich nicht! Aber alles braucht seine Zeit. Wahrscheinlich war die Zeit für Cucurbitus Rex noch nicht reif, um etwas zu tun.“
Wendler war immer noch nicht überzeugt davon, dass er mit diesem Kürbis ein ganz normales Exemplar bekommen hatte, mit dem er tun konnte, was man eben mit Kürbissen so tat. Er bückte sich also und befühlte die Frucht sorgfältig. Schließlich fasste er sich ein Herz, nahm den Kürbis unter den Arm, schloß die Haustür auf und trug den Kürbis in die Küche.

Irene saß am Küchentisch und trank eine Tasse Kaffee. Sie betrachtete die Frucht erst einmal sehr aufmerksam und sagte schließlich: „Ach, da hast du aber noch einen schönen Kürbis gekauft!“ Und da Wendler einen zweifelnden oder skeptischen Unterton in der Stimme seiner Frau zu hören, glaubte, erwiderte er scharf: „Natürlich habe ich noch einen schönen Kürbis kaufen können. Den werde ich zu einer Kürbissuppe verarbeiten, die einerseits kräftig und rustikal und andererseits raffiniert und delikat schmecken wird. Es wird so sein, wie ich es schon die ganze Zeit vor hatte, und wie es sich gehört. Und ich möchte bis zum Abendessen von niemandem gestört werden, basta!“

Irene stand auf und sah ihren man mit einem beruhigenden Blick an. „Es gibt keinen Grund zur Aufregung! Heute Abend geben wir für unsere Freunde nichts weiter als ein gutes und gemütliches Essen!“
„Das will ich wohl meinen! Und lasst mich bloß mit diesem Hokuspokus in Ruhe. Ich will keine Masken oder Kostüme sehen. Und die Kinder bleiben im Haus! Ich dulde es nicht, wenn sie da draußen im Nebel ‚rumlaufen!“ Er zeigte aus dem Fenster, vor dem noch immer oder schon wieder dichte Nebelschwaden hingen.
„Und ich will bis zum Abendessen niemanden hier sehen! Ist das klar?“ Irene nickte und ging mit ihrer Kaffeetasse in der Hand aus der Küche.

Da Alex und Ben ein neues Computerspiel bekommen hatten, war es nicht schwer sie zu überreden nicht in die Küche zu gehen. Ausnahmsweise war es Selma, die Ärger machte. Sie hielt sich gern mit ihrem Malzeug oder Bastelsachen in der Küche auf und hatte Spaß daran beim Kochen zu helfen. Außerdem war sie immer noch traurig und wütend über das, was am Vormittag geschehen war, war von ihren Brüdern wegen ihrer Unterhaltung mit Cucurbitus Rex verspottet worden, würde ihr Katzenkostüm nicht tragen dürfen und hatte so gar keine Lust auf das langweilige Abendessen mit den Leukers und den Verbeks. Erst, als Irene ihr versprach, dass Leonie bei ihr übernachten durfte, war Selma bereit mucksmäuschenstill bis zum Abendessen in ihrem Zimmer zu bleiben und das Katzenkostüm auszuziehen.

Bis die Gäste, Familie Verbek und Familie Leuker, pünktlich um sieben Uhr eintrafen, lief es für Wolfgang Wendler sehr gut, denn alles verlief vollkommen normal. Er konnte in aller Ruhe in seinen zahlreichen Kochbüchern nach der passenden Vorspeise und dem Nachtisch stöbern. Alle Zutaten ließen sich ohne Summen und Gegenwehr verarbeiten, sogar der Kürbis. Und der schmeckte ausgesprochen gut.

Die Leukers trafen zuerst ein. Helmut Leuker war im Stadtrat und der Vorsitzende des örtlichen Kleingärtnervereins. Helmut und Sabine Leuker kamen mit ihren drein Kindern. Familie Verbek hatte einen Kiosk mit Lottoannahmestelle. Das Ehepaar Verbek kam mit ihren drei Kindern und der Mutter von Heiner Verbek, Hermine. Wolfgang Wendler nahm es als ein gutes Zeichen, dass keines der Kinder verkleidet war.
Nach der gewohnt herzlichen Begrüßung setzten sich alle an den großen Esstisch, um einen Aperitif zu trinken.
„und, was gibt’s Neues?“, fragte Wolfgang Wendler. Helmut Leuker bekam einen hochroten Kopf, sah alle am Tisch nacheinander an, bevor er so ruhig wie es ihm möglich war, sagte: „Seit siebzehn Uhr 14 steht fest, dass es in diesem Jahr beim Herbstfest des Kleingartenvereins keinen Kürbiswettbewerb geben wird!“
Seine Frau Sabine sah ihn beunruhigt an und meinte schließlich: „Ich glaube, dass erzähle ich lieber, sonst regst du dich wieder so furchtbar auf!“
Leuker sah seine Frau, die selten etwas sagte, misstrauisch an. Aber Sabine Leuker ließ sich diesmal nicht beirren.
„Es war genau um halb drei heute Nachmittag, als ich leises Rumoren aus dem Garten gehört habe. Es war ein Kullern und ein leises Summen. Ich habe Helmut Bescheid gesagt, dass er mal im Garten nach dem Rechten schauen sollte und habe ihm die Geräusche beschrieben, aber er wollte nichts davon wissen, hat mich nur angesehen als ob ich nicht mehr alle Latten am Zaun hätte. Als ich wieder in die Küche ging, um Kaffee zu kochen und zufällig aus dem Fenster sah, konnte ich beobachten wie ein großer, glänzender Kürbis auf unseren Schuppen zu rollte. Danach waren Geräusche aus dem Schuppen zu hören und später auch wieder aus dem Garten. Als Helmut zum Kaffeetrinken herunterkam, hörte er das Kullern und Summen auch. Aber da entfernte es sich schon von Haus und Garten. Dann wurde es bald wieder ganz ruhig. Nach dem Kaffee ist Helmut dann in den Garten gegangen und hat festgestellt, dass der Kürbis, den er zum Kürbiswettbewerb angemeldet hatte, verschwunden war, und dass nach Jahren unser Schuppen endlich mal wieder aufgeräumt ist.“
Sabine machte eine kurze Pause. Dann fuhr sie fort: „Im Verlauf des Nachmittags zeigte es sich dann, dass alle Kürbisse, die für den Wettbewerb vorgesehen waren, verschwunden sind. Und es wurde beschlossen, dass deshalb der Kürbiswettbewerb in diesem Jahr ausfallen muss.“

Irgendetwas hatte Leuker an der Schilderung seiner Frau missfallen, denn er sah sie wütend an. Das war es wohl, was Sabine Leuker dazu veranlasste, weiterzusprechen: „Es ist zwar sehr schade um den schönen Kürbis. Aber die Sache hat auch viel Gutes. Unser Schuppen ist endlich ordentlich. Und ihr habt immer so ein fürchterliches Theater um diesen Kürbiswettbewerb gemacht.“
In diesem Augenblick stand Wolfgang Wendler auf und schenkte allen noch einmal nach. Dann ging er rasch in die Küche, um die warmen Brötchen mit Gemüsefüllung zu holen. Es schien ihm höchste Zeit zu sein, für reichlich Nahrung in fester und flüssiger Form zu sorgen, denn in der langen Zeit der Freundschaft, die diese drei Familien miteinander verband, hatte es noch keine offene Frage oder Auseinandersetzung gegeben, die nicht durch eine gute, üppige Mahlzeit und reichlicher Flüssignahrung zugestopft oder weggespült worden wäre. Und diese Rechnung schien auch diesmal aufzugehen. Alle langten kräftig zu. Nur Selma und Leonie, die jüngste Tochter der Leukers, die wie Selma vier Jahre alt war, hielten sich zurück.

Schließlich fragte Selma: „ich möchte doch gerne wissen, was Cucurbitus Rex und seine Leute noch so vor haben?“
„Wie bitte?“, fragten Wendler und Leuker gleichzeitig. Und beide hatten ihren Mund noch nicht leer.
Es war Helmut Leuker, der zuerst in der Lage war, nachzuhaken: „Woher, weißt du in drei Teufels Namen, wie das Scheusal heißt?“ Leukers Stimme klang sehr wütend und die Zornesröte war in sein Gesicht gesprungen.
Als Selma dann auch noch die zornigen Blicke ihres Vaters und ihrer Brüder sah, wurde sie unsicher, ob sie noch etwas sagen sollte. Aber sie wusste schon, dass Angriff oft der beste Weg zur Verteidigung ist. Und es gelang ihr in dem betont geduldigen Ton, den sie selbst allzu oft zu hören bekam, den wohl niemand ertragen kann, weil er meist vor wohlmeinender Herablassung strotzt oder so klingt als ob man mit einem dummen Ding spricht, zu antworten: „Woher ich den Namen weiß? Das ist doch ganz einfach. Ich weiß den Namen, weil mir der Kürbis seinen Namen gesagt hat. Papa hatte ihn auf den Küchentisch gelegt. – Und was macht man, wenn man irgendwo ‚reinkommt oder ‚reingebracht wird? – Man stellt sich erst mal vor!“
„Kann hier jemand diese Version bestätigen?“, fragte Leuker. Und seine Stimme klang nicht mehr ganz so wütend wie zuvor. Wolfgang Wendler und seine beiden Söhne schafften es ahnungslose Gesichter zur Schau zu stellen. Sie wollten nicht, dass herauskam, welche Rollen sie in der Sache mit Cucurbitus Rex gespielt hatten.
Da sie an diesem Vormittag nicht begriffen hatten, was vorgegangen war, war es nicht gelogen, da sie die Sache ganz anders erlebt hatten als Selma. Doch sie konnten kein reines Gewissen dabei haben. Denn es war längst genug Zeit vergangen, die gezeigt hatte, dass stimmte, was Selma erzählte. Und so mussten sie alle drei etwas tun, damit niemand etwas merkte, und um dieses leise Mahnen der inneren Stimme zu übertönen. Und während sich Irene Wendler an Helmut Leuker wandte, um ruhig mit ihm zu sprechen, standen Alex und Wolfgang auf, um die Kürbissuppe und neue Getränke zu holen. Ben blieb an seinem Platz sitzen. Er saß da und scharrte ungeduldig mit den Füßen. „Jeder hat mit Cucurbitus Rex heute seine ganz eigene Geschichte erlebt. – Und ich war heute Morgen auch dabei und kann bestätigen, was Selma erzählt hat.“
Als seine Mutter zu ende gesprochen hatte, wandte sich Ben an seinen Patenonkel Helmut Leuker und sagte: „Die Selma ist ja immer noch wie ’n Baby, klein und dumm. Und darum hat sie dem Kürbis die Tür aufgemacht, weil sie geglaubt hat, dass er was Wichtiges vor hat. Sie hat ihn losgelassen, das dumme Ding!“
„Stimmt!“, erklärte Selma. „Ich hab’ Cucurbitus Rex die Tür aufgemacht. Und ich hab’ dem Papa auch ausgerichtet, dass er auf jeden Fall einen neuen Kürbis bekommen wird. Aber er wollte mir wie immer nicht glauben. Und dann sind Papa, Ben und Alex wie die Verrückten hinter ihm her.“

Weiter kam Selma mit ihrer Geschichte nicht, denn in diesem Augenblick stellte ihr Vater den Topf mit der Kürbissuppe auf den Tisch und erklärte mit stolz geschwellter Brust: „Und ich kann euch versichern, dass ich uns dann noch einen überaus schmackhaften Kürbis besorgt habe, der aber ansonsten ein ganz normaler Kürbis ist und sich deshalb zu dieser Kürbissuppe nach meinem Spezialrezept verarbeiten ließ.“ Dann nahm er den Deckel ab und Leuker nahm triumphierend den Schöpflöffel in die Hand und tat sich eine besonders große Portion auf.
„Riecht wirklich schmackhaft, Wolfgang!“, erklärte er und steckte sich den ersten Löffel in den Mund. Dabei machte er ein Gesicht, als habe er einen seiner ärgsten Todfeinde mit einem ganz lockeren Handstreich besiegt.
„Absolut delikat!“, meinte er, nachdem er seinen Mund wieder leer hatte. Und in seinen siegestrunkenen Gesichtsausdruck mischte sich eine gehörige Portion Gier.

Alle beeilten sich von der Suppe zu nehmen. Und nachdem sich die erste Gier und Euphorie gelegt hatten, wandte sich Helmut Leuker wieder an Selma.
„Wenigstens gibst du zu, dass du schuld daran bist, dass dieser Kürbis uns heimgesucht hat!“
In diesem Augenblick legte Hermine Verbek ihren Löffel demonstrativ neben ihren Teller und funkelte Helmut Leuker zornig an.
„Helmut Leuker, fang’ bloß nicht schon wieder an deine Wut darüber, dass dein Kürbis weg ist, an einem Anderen auszulassen!“
„Mutter, lass’ gut sein! Reg’ dich nicht auf und misch’ dich gefälligst nicht überall ein!“, versuchte Heiner Verbek zu schlichten. Doch Hermine Verbek schien ihren Sohn überhaupt nicht gehört zu haben, denn sie fuhr fort: „Vielleicht geschieht es dir selbstgerechtem Lackaffen ja ganz recht, dass dein Kürbis weg ist und du so auch in diesem Jahr den Wettbewerb gegen den alten Koller nicht gewinnst. Aber das sei mal dahin gestellt! Es geht aber überhaupt nicht an, dass du in Wildwestmanier ‚rumläufst und alles und jeden beschuldigst und nieder machst! Und ich schwöre dir, dass ich dich das nächste Mal ‚rausschmeiße, wenn du dich in meinem Laden noch mal vordrängelst und dich so unverschämt verhältst, wie du heute die Frau Baumann behandelt hast!“
„Aber Mutter, wenn, äh, wenn so ungewöhnliche Dinge wie heute passieren, dann liegen doch bei allen die Nerven blank. Da sagt man dann Sachen, die man gar nicht so meint!“ Und wohl nicht nur, weil dieser Vorstoß ihres Sohnes irgendwie kläglich geklungen hatte, funkelten die stahlblauen Augen, der kleinen, alten Frau Heiner Verbek herausfordernd an.
„Hast du den Ton seiner Stimme noch im Ohr?“, fragte Hermine ihren Sohn. Dabei hatte ihre Stimme einen ungewöhnlich scharfen Unterton.
Ihr Sohn wusste nicht mehr, wohin er sehen sollte. Auch davon ließ sich seine Mutter überhaupt nicht beeindrucken. Sie wandte sich an alle, die am späten Nachmittag nicht in ihrem Geschäft gewesen waren. Und sie erzählte ihnen: „Am späten Nachmittag war der Laden ganz besonders voll, weil morgen Allerheiligen ist und deshalb alle ihre Lottoscheine heute schon abgegeben haben. Und alle haben über ihre Erlebnisse mit diesem ganz besonderen Kürbis geredet, wie er zum Beispiel heute Mittag von Wolfgang, Alex und Benn verfolgt, durch die Hauptstraße gerollt ist. – Das habe ich übrigens selbst auch gesehen. – Alle haben große Reden geschwungen, was sie mit diesem Kürbis tun wollen. Vor allem der Helmut und sein Spießgeselle, dieser Gernert, haben das Maul aufgerissen. Der Helmut und der Gernert haben sich aufgeführt wie die Verrückten. Sie wollten eine Bürgerwehr, eine Todesschwadron, nie dagewesener Größe gründen, den Kürbis dingfest machen und zwar sofort. Dann kam die Frau Baumann ins Geschäft und hat auch einen Lottoschein abgegeben, was sie seit dem Tod ihres Mannes und ihrer beiden Kinder nicht mehr getan hat. Und als sie gefragt wurde, warum sie denn jetzt wieder einen Lottoschein ausfüllt, hat sie, weil sie gehört hat, dass alle über Cucurbitus Rex gesprochen haben, erzählt, was sie mit dem König der Kürbisse erlebt hat. Sie hatte ihn auf ihr Haus zukommen hören. Und er hatte ihr freundlich erklärt, dass er in guter Absicht gekommen sei. Er ist dann siebenmal gemächlich um ihr Haus herumgekullert, bevor er wieder davon gerollt ist. Und weil die Sieben nun mal die Zahl der Fülle ist, hat die Frau Baumann zum ersten Mal nach siebeneinhalb Jahren einen Lottoschein ausgefüllt. Alle, besonders Helmut und dieser struntedoofe Gernert, haben sich furchtbar über ihren Aberglauben aufgeregt und sie beschimpft. Als sich dann aber die Aufregung gelegt hatte, wollten alle ihre Zahlen wissen. Und als die Frau Baumann ihre Zahlen nicht verraten wollte, gingen die Beschimpfungen von vorne los. Ins Irrenhaus wollten sie sie schicken. – Und wie gesagt, dieser absolut feindselige Ton mit dem Neid im vorauseilenden Gehorsam dabei! – Einfach nur noch peinlich, anmaßend und schrecklich!“
„Aber Hermine, du musst doch zugeben, dass es vollkommen verrückt und finsterster Aberglaube ist! Vor allem behauptet sie, dass in der Summe, die sie gewinnen wird, mindestens auch eine Sieben enthalten sein wird!“, verteidigte sich Helmut Leuker.
„Ich finde das nicht verrückter als eure Idee mit der Bürgerwehr, der bis unter die Zähne bewaffneten Armada gegen einige Kürbisse vorgehen zu wollen! Mal sehen, wie diese Sache ausgeht. Mich jedenfalls würde es freuen, wenn bei der Frau Baumann in der nächsten Zeit Post von der Lotterie kommt!“
„Mich auch!“, sagten Selma und Leonie gleichzeitig.
„Du gehst jetzt gefälligst sofort ins Bett!“, fauchte Wolfgang Wendler Selma an. „Du hast schon mehr als genug Unfug gemacht.“

Selma sah ihre Mutter an. Irene wagte zwar nicht ihrem Mann zu widersprechen. Aber sie sagte: „Geht schön brav nach oben, Selma und Leonie, hört euch noch eine Geschichte an. Ich komme dann gleich noch mal zu euch!“ Die beiden Mädchen gingen nach oben, ohne zu widersprechen. Wendler war froh, dass seine Strategie aufging. Denn das Thema Cucurbitus Rex und seine Folgen war zumindest für diesen Abend erledigt. Bevor sich die Mädchen eine Gutenacht wünschten, meinte Leonie zu Selma: „Ich wünsche mir, dass die Frau Baumann so viel Geld bekommt, dass in der Zahl siebenmal die Sieben vorkommt!“ „Das wünsche ich mir auch!“, erwiderte Selma.

Hermine Verbek ärgerte sich darüber, dass die beiden Mädchen nichts von dem köstlichen Eis bekamen, was es an Halloween bei Wendlers zum Nachtisch gegeben hatte. Und als sie Leonie und Selma am Nikolaustag dieses Jahres vor ihrem Kiosk sah, rief sie sie herein und spendierte ihnen zur Feier des Tages ein Eis. Denn im Dorf war bekannt geworden, dass Frau Baumann 777.777,57 Euro im Lotto gewonnen hatte. Eine Bankangestellte hatte ihren Mund nicht halten können. Und alle redeten über die Summe. Doch vor allem die männlichen Wendlers, Helmut Leuker und Heiner Verbek vermieden es davon zu reden, wie es zu dieser Summe gekommen sein musste. Und sie vermieden über alles zu reden, was mit Cucurbitus Rex zusammen hing. Sie hielten ihren Mund nicht nur, wenn Hermine Verbek es hören konnte. Vor allem Wolfgang Wendler und Helmut Leuker wollten kein Wort mehr über den Kürbis verlieren. Schließlich konnte er zu Halloween wieder kommen und Dinge tun, die sie nicht im Griff haben würden. Das wollten sie auf keinen Fall heraufbeschwören.

© Paula Grimm, 31.10.2017

Schmackhafte Vorsätze (Sieben Sachen)

Guten Tag,

heute geht es gleich zweimal weiter im Text, was die sieben Sachen betrifft. Die beiden skurilen Sachen sind jetzt an der Reihe, obwohl sie jahreszeitlich manchem vielleicht nicht als Lesefutter passen. „Was macht’s? Die fressen doch kein Brot“, würde meine Mutter jetzt sagen. Und weil das so ist, können beide Kurzgeschichten zu gegebener Jahreszeit zum passenden Termin natürlich erst oder wieder gelesen werden.

Für die Geschichte in diesem Beitrag gilt: „Vorsicht schwarzer Humor“.

Sie entstand für die schreibgruppe der evangelischen Blindenseelsorge im Rheinland zum Thema Silvester (2008-2009).
Ich wünsche gute Unterhaltung.

Schmackhafte Vorsätze

Lieber Benno, lieber Franz, lieber Fred und liebe Elfi,

meiner Einladung zu dieser Silvesterparty seid Ihr sicher alle gern gefolgt. Das freut mich aufrichtig! Illusionen über die Gründe Eures Kommens mache ich mir nicht. Seid herzlich in meinem Haus willkommen und stört Euch nicht daran, dass ich, wie Ihr sicherlich bereits gemerkt haben werdet, nicht leibhaftig anwesend sein kann und Ihr daher fast nur mit der Aufnahme, die Ihr gerade hört, Vorlieb nehmen müsst.

Eine Videoaufnahme habe ich Euch erspart, da ich ja alles andere als telegen bin, nicht wahr Elfi? Ihr hattet bestimmt mit einer Einladung zum Weihnachtsfest gerechnet, bei dem es dann ein besonders üppiges Menü und zahlreiche Geschenke hätte geben sollen. Es tut mir leid, aber diesmal war es für mich unumgänglich mich auf eines der Feste zu beschränken. Und zumindest zum Jahreswechsel ist es so wie Ihr es gewöhnt seid und wie Ihr es erwartet, es gibt reichlich umsonst.

Was die Feste betrifft, wird sich alles ändern. In gewisser Weise ist es schon das Ende, obwohl es nicht die letzte, sondern erst die vorletzte Einladung von mir ist. Was das letzte Fest, betrifft, so komme ich am Ende dieser Aufnahme noch darauf zu sprechen.

Dass es bezogen auf Einladungen und Feste in dieser Familie nicht so bleibt wie es war, ist einerseits eine schlechte Nachricht, denn ich werde nie wieder diejenige und die einzige sein, die den Beweis dafür antritt, dass Liebe durch den Magen geht, indem sie auffährt, was kulinarisch möglich ist. Andererseits ist es eine gute Nachricht für Euch, denn ab sofort müsst Ihr Euch nie wieder den Kopf darüber zerbrechen, warum Ihr mich nicht einladet, warum für Euch gelten kann, aus der Ferne liebt es sich leichter. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich meinen Teil dieses zwiespältigen Familienkonzepts erfüllt habe, denn ich weiß bestimmt, Ihr habt mich trotz meiner Unabhängigkeit und trotz meiner Lebensweise, die Euch überhaupt nicht in den Kram passen, die Ihr mir nicht zugesteht, einfach zum Fressen gern. Betrachtet also diese vorletzte Einladung und vor allem den folgenden Gang des Menüs als meinen aufrichtigen Dank für diese, Eure Liebe!

Da ich schon länger weiß, dass meine Tage gezählt sind, blieb mir genug Zeit meine Vorbereitungen zu treffen. Ich bin die Sache wieder einmal auf meine Art angegangen, habe so gelebt wie zuvor und habe dabei gleichzeitig einen außergewöhnlichen Plan speziell für Euch ausgeheckt. Und ich bin mir sicher, dass ihr mir gerade diesen besonderen Plan und seine Umsetzung, die wirklich nicht einfach war, nicht zugetraut habt. Unter uns gesagt, ist die Sache wie sie abgelaufen ist, nicht ganz legal. Aber ich werde Euch nicht mit den Einzelheiten über die Umgehung gewisser gesetzlicher Vorgaben langweilen.

Sollte Euch mein Vorgehen so befremden, dass Ihr Euch nur Rache als Motiv vorstellen könnt, muss ich Euch enttäuschen oder beruhigen, je nach dem, wie Ihr das empfindet. Nein, ich hege keine Rachegelüste, zum Beispiel wegen des Betrugs, den Ihr an mir bezogen auf Vaters Erbe begangen habt. Wozu auch? – Aus mir ist ja auch ohne Eure Firma was geworden und gut verdient habe ich auch, kaum zu glauben, nicht wahr, Benno?

Wir haben von unserer Mutter gelernt, man ist, was man isst. Also muss umgekehrt wohl gelten, man ist nicht, was man nicht isst. Und jeder braucht etwas anderes. Wenn nun das, was man braucht und noch nicht ist, „artgerecht“, also im Mitmenschen verfügbar ist, ist es naheliegend und folgerichtig sich das, was man braucht und noch nicht ist, vom Anderen zu nehmen oder sich von ihm freiwillig geben zu lassen. Ich gebe freiwillig, ungefragt und gern. Und ich bin daran gewöhnt mich nützlich zu machen. So nutze ich jetzt die Möglichkeit jedem von Euch das von mir zu geben, was er braucht, noch nicht hat und deshalb auch noch nicht ist. Und da wir unter uns sind, bleibt es in der Familie.

Dass meine Speisenauswahl für den folgenden, individuell auf jeden von Euch abgestimmten, Gang, Eurem Geschmack und Euren Vorstellungen vollkommen entspricht, wage ich zu bezweifeln. Schon, weil Ihr wie immer betonen werdet, dass Ihr anders und besser seid als ich, wird es Gemecker geben. Aber ich kann einfach nicht aus meiner Haut und tue und gebe, was ich kann. Und es bleibt ja in der Familie.

Aus kulinarischer Sicht sind die individuellen Speisen des nächsten Gangs absolut unbedenklich und nach den Regeln des guten Geschmacks komponiert. Dafür wird wie eh und je meine gute und treue Lena Sorge tragen. Dafür, dass mein Rezept bei und für Euch seine Wirkung tun wird, gibt es natürlich keine Garantie. Jede der folgenden Speisen ist ein leibhaftiger Wunsch von mir für einen jeden von Euch. Wenn es hilft, geht es Euch und Euren Mitmenschen bald besser und Ihr braucht für das nächste Jahr nicht einmal einen guten Vorsatz zu fassen, den Ihr eigentlich sowieso nicht halten wollt. Was Euch gleich vorgesetzt wird, ersetzt jeden guten Vorsatz, dem Energiestoffwechsel sei Dank! Und Ihr braucht nichts dazu zu tun als das, was ihr sonst auch tut, alles zusammenraffen und in Euch hineinstopfen, was Ihr kriegen könnt. Zumindest hat mein Plan für Euch bisher zeitlich ausgezeichnet funktioniert. Und wenn meine guten Vorsätze für Euch nicht wirken, zählen zumindest in gewisser Weise die guten Absichten und die Geste selbst. Da bin ich sicher! Und selbst Fred kann meiner nicht mehr habhaft werden wie ihm beliebt.

Benno, Dir habe ich ein gegrilltes Stück vom Nacken zugedacht. Du hast Dir dieses spezielle Gericht verdient, weil Du einer der größten, wenn nicht der größte, Geizkragen bist, den ich kenne. Aber Auch Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, alle Zutaten sind vom Feinsten. Und Du brauchst Dir auch keine Gedanken darüber zu machen, dass Du zu kurz kommst. Auch Dir gebe ich selbstverständlich gern Und in diesem besonderen Fall wirst Du mir sicher ausnahmsweise keine Verschwendungssucht unterstellen. Denn auch Dir gebe ich natürlich und wie immer gut, viel und gern. So handelt es sich bei dem, was auf Deinem Teller liegt, nicht nur um das größte Stück, sondern auch um die beste Marinade und nicht um das gepanschte, billige Zeug, das Du anbietest, wenn Du Dich genötigt fühlst, Gäste bewirten zu müssen. Und darum haben wir keine Kosten und Mühen gescheut, die besten und frischesten Zutaten in großzügiger Menge für Sauce und Beilagen zu beschaffen und diese hat Lena eigenhändig und sorgfältig verarbeitet. So bekommst Du ordentlich was zwischen die Zähne, Du alter Gierschlund!

Franz, wenn Du jetzt denken solltest, dass Du das pikante Herzragout nach Provincealischer Art bekommst, weil bei Dir seit eineinhalb Jahren ein Herzproblem medizinischer Art vorliegt, bist Du gewaltig auf dem Holzweg. Wäre das der Fall, müsste ich der Unbedenklichkeit meiner Speisen zum Trotz den Hinweis geben: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Du brauchst dieses schmackhafte Herzragout gegen einen Herzfehler, den Du schon seit wir alle denken und fühlen können, hast, der aber keineswegs angeboren und nicht medizinisch behandelbar ist. Hoffentlich hilft das Herz wenigstens ein Bisschen gegen Deine Kalt- und Hartherzigkeit gegen alles und jeden. Lena wird durch eine sachgemäße und liebevolle Zubereitung des Herzragots eine Speise zubereitet haben, bei der das Herz einerseits weich und zart ist, wie ein gutes Herz eben ist, das aber andererseits noch eine solide Konsistenz hat, wie es sein muss, um beherzt und gut zu leben. Das Herzragout weicher als Dein Herz zu kochen, war sicherlich die einfachere Aufgabe bei der Zubereitung des vorzüglichen Herzens. Von Dir stets als zu gutherzig befunden bleibt mir nur Dir von ganzem Herzen einen gesegneten Appetit und gute Besserung zu wünschen.

Fred, Deine herausragende Bedeutung als Kopf des Familienunternehmens würdige ich mit einem besonderen Leckerbissen, mit eingelegtem Hirn. Zumindest bei Dir bin ich mir recht sicher mit der Speisenauswahl richtig zu liegen. Außergewöhnliche Pläne und Ideen sind ganz nach Deinem Geschmack. Obwohl es durchaus sein kann, dass mein Einfall Dir wohl nicht undurchsichtig und abgefeimt genug ist. Aber ich habe natürlich meine Gutwilligkeit, die Dir immer schon ein Dorn im Auge war, und für die Du bislang immer Hohn und Spott übrig hattest, auch Dir gegenüber nicht verloren. Ich möchte Dir mit diesem exzellent zubereiteten Gehirn zeigen, dass ich guten Willens bin Deinem hervorragend entwickelten Denkvermögen ganz neue Impulse zu geben. Ich habe so meine Zweifel, ob dieses Gericht bei Dir überhaupt etwas bewirken kann, Du alter Starrkopf und Dickschädel! Aber zumindest beim Verzehr dieses schmackhaften Gerichts werden Dir nur gutartige Gedanken und Ideen in den sinn kommen. Denn die Zubereitung ist absolut delikat! Ich wünsche Dir gute Pläne und Ideen zum Nutzen aller, mit denen Du zu tun hast und jetzt erst einmal einen gesegneten Appetit!

Elfi, ich weiß, wie schwer es Dir gefallen ist, für die Dauer meiner Ausführungen Deine spitze Zunge im Zaum zu halten. Und es ärgert Dich, dass ich schon wieder einmal eine Möglichkeit gefunden habe, mich nicht auf Deine Lügen und Lästereien einlassen zu müssen. Und auch mit Deiner Angeberei habe ich ab sofort nicht mehr das Geringste zu schaffen. Keine Sorge, bei den folgenden Gängen wird Dir noch genug Zeit für Spott und Verleumdungen bleiben. Ich weiß ja leider nicht, ob und wann mein Gericht seine Wirkung entfaltet. Dass sich Zunge und Wange in Aspik im Vergleich zu den anderen Speisen dieses Gangs verhältnismäßig bescheiden ausnehmen, stört Dich bestimmt nicht. Denn Du bist ja gerade wieder einmal dabei abzunehmen und behauptest wie immer soooo bescheiden zu sein wie niemand sonst in der Familie. Du lebst aber Deiner Behauptung zum Trotz mit Deiner Habgier und Deiner Aufmachung nach dem Motto: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch es geht ganz ohne ihr!“ Daher drücke ich mit meinem Gericht für Dich den Wunsch aus, dass Du in den nächsten Jahren den Mund nicht mehr so voll nehmen musst und jetzt erst einmal einen guten Appetit!

Damit Ihr jetzt aber ungestört kräftig Zulangen, die nächsten Gänge des Menüs und den Jahreswechsel genießen könnt, möchte ich nur noch zwei Bemerkungen machen.
Zum einen möchte ich Euch herzlich zu meinem letzten Fest einladen, bei dem Ihr Euch wie immer um nichts kümmern müsst. Am Montag dem 05. Januar findet um 11.00 Uhr die Beisetzung derjenigen sterblichen Überreste statt, für die mir kein passender Verwendungszweck eingefallen ist. Ihr braucht Euch also nicht um den kläglichen Rest zu streiten. Und Ihr müsst Euch auch deshalb nicht sorgen, weil ich ja seit vielen Jahren das Doppelgrab auf dem Nordfriedhof habe, wo schon mein Richard seine Letzte Ruhe gefunden hat. Ihr braucht Euch also um nichts zu kümmern, keine Sorgen zu haben und müsst auch nichts bezahlen. Dass es eine kostenlose Veranstaltung ist, wird vor allem Dich freuen Franz, da Du ja derjenige bist, der Richard und mir in Wort und Tat immer gezeigt hast, wie überaus herzlich Du uns zugetan warst, gerade, sodass Du Dir von je her Sorgen gemacht hast, wie Du uns meiden konntest und uns zu verstehen gegeben hast, dass wir für Dich nichts wert sind. Endlich sind wir dann wieder vereint, der Richard und ich. Der Leichenschmaus wird dann um 12.00 Uhr im Restaurant des Seehotels stattfinden.

Die zweite Anmerkung, die ich eben angekündigt habe, ist, dass ich Euch beruhigen kann. Denn diese Silvesterparty ist wirklich nicht das Letzte, mit dem Ihr abgespeist werdet, wenn sich schon alles ändern muss. Nach dem kostenfreien Mittagessen im Seehotel findet nämlich direkt die Testamentseröffnung statt. Und ich verspreche Euch nicht zu viel, wenn ich sage, dass es sich für jeden von Euch lohnt, das erbe nicht auszuschlagen, obwohl ich den Löwenanteil meines Vermögens der Lena und den Belangen der Hunde in dieser Stadt vermache. Ich wünsche Euch also von ganzem Herzen einen schönen Jahreswechsel, alles erdenklich gute für das Jahr 2009 und viele weitere Jahre und vor allem gute Besserung!

Liebe Grüße

Susi

Novecento: Die Legende vom Ozeanpianisten

Guten Tag Ihr Lieben,

heute möchte ich Euch ein Buch vorstellen, das ich als Hörbuch gehört habe. Und ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich es schon gehört habe. Es hat mich so sehr beein druckt, dass es auf jeden Fall in die Bibliothek von Vielseitigkeit gehört.

Seiner Zeit, im Jahr 2001, bin ich einer Empfehlung des „WDR-Hörbuchmagazins“ gefolgt und habe es nicht bereut.

Heute, am 07. April 2024 konnte ich mich sehr freuen. Denn ich wurde fündig und habe die erste Version des Hörbuchs, das ich vor über 20 Jahren auf Kassetten gekauft hatte, auf CD erworben, nachdem es längere Zeit nicht mehr zu finden gewesen war.

INHALTSANGABE

Die Rahmenhandlung ist schnell und einfach erzählt. Die Virginian ist ein Passagierdampfer, der zwischen Europa und dem Hafen von New York verkehrt. Nach einer Überfahrt im Jahr 1900 haben alle Passagiere das Schiff im Hafen von New York verlassen. – Alle Passagiere? – Nein, nicht alle Passagiere! – Die Männer der Besatzung finden auf dem Klavier im Salon der ersten Klasse einen neugeborenen Jungen, der in einer Obstkiste liegt. Und sie kümmern sich um das Kind. Und sie geben ihm einen Namen. Es muss ein besonderer Name sein. Und so nennen sie ihn u. a. Novecento, 1900, seinem Geburtsjahr entsprechend.

Und Novecento wird das Schiff, die Virginian, nicht verlassen. Er wird der Ozeanpianist. Er verlässt das Schiff nicht, als der Kapitän beschließt, dass der Junge mit acht oder neun Jahren alt genug ist, die Virginian zu verlassen. Und er verlässt das Schiff auch als erwachsener Mann nicht, obwohl er eigentlich selbst beschlossen hat, die Virginian zu verlassen, um die Welt kennen zu lernen. Er verlässt die Virginian nicht, weil er erkennen darf, dass das nicht notwendig ist. Er muss nicht auf die Welt gehen, um sie kennen zu lernen, denn die Welt kommt mit ihren verschiedenen Menschen, Geschichten und ihrer Musik zu ihm auf das Schiff.

MEINE LESEERFAHRUNG

Der Untertitel lautet: Die Legende vom Ozeanpianisten. Und diese Geschichte hat alles, was eine Legende braucht. Sie ist wahrhaftig und phantastisch zugleich, wie es sich für eine Legende gehört.

So geschehen merkwürdige Dinge, zum Beispiel als Novecento bei einem Sturm die Bremsen des Pianos löst und versucht, das Klavier mit seinem Spiel durch den Raum zu führen. Aber was heißt schon merkwürdig? Das ist nichts Schlimmes. Es heißt ja nur, dass Dinge geschehen, die würdig sind, dass man sie sich merkt. Ich höre dieses Hörbuch immer wieder gern. Es ist genau das Richtige für einen Herbst- oder Winterabend aber auch für die Zeit an einem Nachmittag im Liegestuhl.

Auf dem Cover des Hörbuchs steht, dass der Autor diese Geschichte gefunden hat, als er in einer Bibliothek auf der Suche nach einem Roman war, der so ist wie das Leben. Und ich bin der Meinung, dass es stimmt. Es ist ein Roman, der wirklich so ist wie das Leben, obwohl sie als Hörbuch nur 98 min. beansprucht.
DIE GESTALTUNG DES HÖRBUCHS

Dazu, dass ich dieses Hörbuch so liebe trägt auch die akustische Gestaltung bei. Friedrich Schoenfelder hat es gelesen, als er schon über 80 Jahre alt war. Die Lesung dieses erfahrenen Schauspielers und Sprechers ist hervorragend, einfach und klar. Diese unaufdringliche und vollkommen angemessene Vortragsweise strahlt so viel Lebendigkeit aus, dass die Lebensweisheit, die im Text enthalten ist, noch vielfach verstärkt wird. Umrahmt wird die wunderbare Lesung von Ozean- und Pianoklängen, die zu diesem Hörbuch sehr gut passen.

Eigentlich gehöre ich ja zu diesen Menschen, die bei Lesungen musikalische Untermalung in den meisten Fällen nicht mögen. Aber hier ist die klangliche Begleitung wirklich passend gestaltet.

DATEN ZUM BUCH

Buchformat: Hörbuch mit 2 CDs
Verlag: Steinbach sprechende Bücher
Autor: Alessandro Baricco
Sprache deutsch
Lesung: Friedrich Schoenfelder
Spieldauer: 98 min.

Liebe Grüße
Paula Grimm

P. S.: Das kurze lebenskluge Buch lohnt sich auch für Leser*innen, die Bücher gern mit den Augen lesen.